
Hauptartikel: Die wirtschaftlichen Herausforderungen Chinas
Seit der Pandemie hat sich die chinesische Wirtschaft noch nicht vollständig erholt. Der Premierminister Li Qiang stellte vor kurzem eine neue Strategie vor, um den Binnenkonsum anzukurbeln. Einen Monat später kündigten jedoch die USA Einfuhrzölle an, die sich hauptsächlich gegen die Volksrepublik richteten. Was bedeutet das für Investoren? Gibt es noch Chancen im größten asiatischen Land?
Am 5. März hielt US-Präsident Donald Trump eine Rede vor dem US-Kongress und am selben Tag sprach Li Qiang vor dem Nationalen Volkskongress Chinas und stellte den neuen Arbeitsbericht der Regierung vor. Trumps feurige Rede inmitten eines lärmenden Publikums stand im Gegensatz zu Li Qiangs förmlichen und vorhersehbaren Worten an die aufmerksamen Delegierten in der Großen Halle des Volkes in Peking. Doch die geordnete Atmosphäre bei Li’s Rede könnte täuschen.
Die chinesische Wirtschaft hat immer noch mit einer anhaltenden Schwäche auf dem Immobilienmarkt, Deflation und nun zusätzlich mit Konflikten bei den Handelbeziehungen zu kämpfen. Der Arbeitsbericht skizziert die wichtigsten politischen Maßnahmen für das kommende Jahr.
Wir analysieren diesen neuen Plan, eruieren seine Auswirkungen und schauen uns die eskalierenden Handelsspannungen1 genauer an.
Wachstums- und Entwicklungsziele
Die vorgestellten Ziele berücksichtigen sowohl die nationalen als auch die internationalen Rahmenbedingungen und versuchen, Notwendigkeit und Machbarkeit ins Gleichgewicht zu bringen. Die chinesische Regierung hat das Ziel für das Wirtschaftswachstum 2025 erneut auf 5 Prozent festgelegt. Dies entspricht dem Wachstum des vergangenen Jahres. Außerdem wurden Ziele für die Inflation, die Beschäftigung, den Energieverbrauch und das öffentliche Wohlergehen definiert. Die Arbeitslosenquote sollte bei rund 5,5 Prozent liegen und spiegelt die Bemühungen um eine Stabilisierung der Beschäftigung inmitten struktureller Herausforderungen wieder. Die Inflation soll bei etwa 2 Prozent liegen, wobei die Preisstabilität durch politische Maßnahmen und Reformen gewährleistet werden soll.
Die chinesische Regierung geht diese wirtschaftliche und soziale Entwicklung mit einer ausgewogenen Strategie an, die sich gleichermaßen auf Fortschritt sowie Stabilität fokussiert. In ihrem Arbeitsbericht nennt sie wichtige Aufgabenfelder, zum Beispiel die Stimulierung der Binnennachfrage, die Förderung technologischer und industrieller Innovationen und die Stabilisierung der Immobilien- und Aktienmärkte. Zugleich müssen aber auch Herausforderungen im Immobilienmarkt und exogene Schocks bewältigt werden. All diese Aufgaben haben das Ziel, die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen und den Lebensstandard der Bevölkerung zu verbessern. Vor allem die Belebung der Inlandsausgaben hat sich vom dritten Platz im vergangenen Jahr zur höchsten Priorität für 2025 entwickelt.

Stärkung der Konsumenten und der Binnennachfrage
Im Jahr 2025 soll vor allem die Binnennachfrage durch stärkeren Konsum ausgeweitet werden. Der Schlüssel zum Wirtschaftswachstum liegt in der Stärkung des Konsums, der Beseitigung der Nachfrageschwäche und der Gewährleistung einer Synergie zwischen Konsum und Investitionen. Der Bericht bekräftigt die bereits bestehenden Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft, indem er einen Anstieg des Haushaltsdefizits von etwa 3 auf 4 Prozent zulässt. Er benennt einige Stellschrauben, um die Kaufkraft der Verbraucher und die Verbraucherstimmung insgesamt zu verbessern. Der Schwerpunkt liegt auf der Erhöhung der Realeinkommen der Haushalte, der Stärkung der Kaufkraft von Chinesen mit niedrigem Einkommen und der Senkung der Belastungen für Gruppen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, indem beispielsweise die Kosten für Kinderbetreuung, medizinische Versorgung und Altenpflege gesenkt werden.
Die chinesische Regierung ist fest entschlossen, die Verbraucher wieder zum Konsum zu motivieren, und versucht, die Binnennachfrage zu stärken statt Investitionen und Exporte zu forcieren. Hinderlich ist dabei jedoch der Handelskonflikt mit den USA.
Werden die chinesischen Verbraucher ihre Ausgaben erhöhen?
Der wirtschaftliche Aufschwung hängt also vom Konsum ab. Die Frage ist, ob China in der Lage sein wird, seine Bürger wieder zum Konsum zu bewegen. Dieses Ziel wird immer dringlicher, da andere Wirtschaftstreiber – wie Immobilieninvestitionen oder Exporte – nach wie vor rückläufig sind. Letztere sind seit kurzem mit hohen US-Zöllen belegt. Wenn China ein Wachstum von 5 Prozent erreichen möchte, muss die Inlandsnachfrage einen Beitrag von etwa 60 Prozent leisten. Im vergangenen Jahr betrug dieser weniger als 45 Prozent.2
Das Verbrauchervertrauen wurde durch die Lockdowns erschüttert und hat sich noch nicht vollständig erholt. Die Sparquote der Haushalte ist daher immer noch höher als vor der Pandemie. Ein immer größerer Teil dieser Ersparnisse fließt in Spareinlagen und Wertpapiere (insbesondere Anleihen) statt in die Finanzierung neuer Immobilien. Diese Anhäufung von Vermögen ist eine der Ursachen für die anhaltende wirtschaftliche Stagnation.
Der neue Bericht zeigt, wie der Konsum angekurbelt werden kann: mehr Geld in den Taschen der Bevölkerung, geringere Sparquoten, Subventionierung von Verbraucherkrediten für Kreditnehmer, Erhöhung der Mindestlöhne und die finanzielle Unterstützung von Studenten. Die Pläne sind gut durchdacht, aber nicht neu. Auch in der Vergangenheit wurden bereits derartige Maßnahmen angekündigt. Daher könnte eine stärkere Unterstützung aus Steuermitteln erforderlich sein, um das Ziel zu erreichen. Der aktuelle Handelskonflikt mit den USA könnte hierbei den nötigen Impuls geben.
Handelsspannungen mit den USA
Seit dem sogenannten Liberation Day haben sich die Spannungen zwischen den USA und China verschärft, und die US-Zölle sind deutlich gestiegen. Nach der Ankündigung der gegenseitigen Zölle am.2 April drückte Trump relativ schnell die Pausentaste – außer für China. Für die Volksrepublik erhöhte er die Zölle zunächst um 34 Prozent und kündigte an, den zollfreien Versand von kleinen Paketen aus China zu beenden. Von dieser Maßnahme werden vornehmlich Unternehmen wie Temu und Shein betroffen sein. China schlug mit zahlreichen Maßnahmen zurück, darunter ein Gegenzoll von 34 Prozent auf US-Einfuhren. Darauf reagierte Trump mit noch höheren Zöllen. China zog nach und verdoppelte diese Zölle erneut. Derzeit liegen die Zölle der USA auf chinesische Produkte bei 145 Prozent, China hat 125 Prozent auf US-Importe verhängt. Die Zölle auf Smartphones und Halbleiter wurden jedoch bereits wieder nach unten korrigiert. Zuletzt verkündete Donald Trump mögliche Senkungen der Zölle auf chinesische Importe, jedoch bleibt die Unvorhersehbarkeit dieser Entwicklungen auch in Zukunft bestehen.
Die Spannungen zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt sind seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus eskaliert. Der US-Präsident hat seit seinem zweiten Amtsantritt noch nicht mit seinem chinesischen Amtskollegen gesprochen. Die beiden Länder befinden sich in einer Pattsituation, denn Trump führte die Rolle Chinas bei der Einfuhr von Fentanyl nach Amerika als Grund für die ersten beiden Zollrunden an. Neben diesen unmittelbaren Vergeltungsmaßnahmen dürfte sich China noch stärker auf die Verbesserung seiner eigenen Wirtschaft konzentrieren, indem es seine Exportziele und -produkte diversifiziert und den Binnenkonsum anheizt. Die aktuellen Handelskonflikte wirken sich jedoch auch negativ auf die Stimmung der Verbraucher und Unternehmen aus.

Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit
Aufgrund der geopolitischen Spannungen – die sich mittlerweile auch auf die Weltwirtschaftslage auswirken – hat die Unsicherheit weltweit weiter zugenommen. Regierungen, Unternehmen, Verbraucher und Investoren müssen ständig neue Nachrichten und Ankündigungen verarbeiten, die sich plötzlich ändern, zurückgedreht oder gar ins Gegenteil geändert werden können. Diese Unvorhersehbarkeit macht es sehr schwer, die Folgen politischer Maßnahmen abzuschätzen. Ein solides, gut diversifiziertes Anlageportfolio ist daher wichtiger denn je. In den Schwellenländern, insbesondere in China, gibt es einige attraktive Anlagemöglichkeiten. Wir haben generell eine neutrale Haltung gegenüber den Schwellenländern und China. Wenn Sie in diese Märkte investieren, sollten Sie darauf achten, dass dies Ihren Anlagezielen entspricht und die Anlagen für Ihr Portfolio geeignet sind. In der Tabelle finden Sie einen Überblick über Anlagemöglichkeiten in China.
In den USA notierte chinesische Aktien (ADRs)
Das Risiko, dass chinesische Aktien nicht mehr an der US-Börse notiert werden können oder dürfen, ist wieder aufgetaucht, nachdem es Ende 2022 durch eine Zusammenarbeit zwischen US-amerikanischen und chinesischen Regierungsbehörden ausgeräumt worden war. Die betroffenen Unternehmen würden ihre Notierung an der US-Börse verlieren, wenn sie drei Jahre in Folge die US-Rechnungslegungsvorschriften nicht einhalten würden. Obwohl es keine Probleme mit der Rechnungslegung gab, ist die Gefahr eines „Delisting“ aufgrund des Konflikts zwischen der Volksrepublik und den USA wieder aktuell.
Die meisten chinesischen ADRs sind derzeit auch an der Hongkonger Börse notiert und umgehen so das (Liquiditäts-) Risiko, dass diese Aktien nicht mehr gehandelt werden können. Allerdings könnte die Risikoprämie für die Aktien steigen und die Bereitschaft, in diese Aktien zu investieren, sinken. Dies gilt insbesondere dann, wenn US-Investoren nur eingeschränkt oder gar nicht in chinesische Unternehmen investieren dürfen. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Auswirkungen der „Migration“ von Beteiligungen und Handelsaktivitäten überschaubar bleiben.
Global Investment Centre
Joost Olde Riekerink - Experte für Aktienanalyse und -beratung
¹Haftungsausschluss: Einige Inhalte in diesem Artikel können sich bei Erscheinen dieser Publikation bereits geändert haben oder aufgrund der aktuellen Entwicklungen überholt sein.
²The Economist; Hammer and sickie: Can anything get China’s shoppers to spend?; 17. März 2025