
ReArm Europe - Neue Investitionsmöglichkeiten
Während sich Europa auf eine Welt ohne amerikanische Militärhilfe vorbereitet, macht die Europäische Union mit dem Plan „ReArm Europe“ große Schritte nach vorne, um ihren Verteidigungssektor zu stärken. Diese historische Initiative umfasst erhebliche finanzielle Investitionen, die darauf abzielen, den Verteidigungssektor zu stärken und die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten zu verringern. In dieser Publikation untersuchen wir den aktuellen Stand und das zukünftige Potenzial des Teilsektors Luft- und Raumfahrt und Verteidigung auf dem europäischen Aktienmarkt und erörtern die jüngste Wertentwicklung sowie Bewertungsherausforderungen. Zum Schluss finden Sie Anlagestrategien und Aktienempfehlungen für interessierte Investoren.
EU geht Schwächen im Verteidigungsbereich an
Jahrzehntelang profitierte Europa von der sogenannten „Friedensdividende“. Eine Phase niedriger Militärausgaben nach dem Ende des Kalten Krieges ermöglichte es den europäischen Regierungen, Ressourcen auf das Wirtschaftswachstum zu konzentrieren. Als Reaktion auf eskalierende geopolitische Spannungen und zunehmende Sicherheitsbedrohungen hat die Europäische Kommission nun „ReArm Europe“, das größte militärische Investitionsprogramm in der Geschichte der Europäischen Union, ins Leben gerufen. Dieses Vorhaben, das 800 Milliarden Euro für die europäische Verteidigung mobilisieren könnte, basiert auf vier Säulen:
- Bereitstellung öffentlicher Finanzmittel Der erste Teil des ReArm-Europe-Plans zielt darauf ab, die nationalen Verteidigungsausgaben durch die Aktivierung der allgemeinen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erhöhen. Dies bedeutet, dass Länder mehr in ihre Sicherheit investieren können, ohne Sanktionen für übermäßige Haushaltsdefizite befürchten zu müssen.
- Neue Finanzierungsmöglichkeiten Die EU führt ein neues Instrument ein, das den Mitgliedstaaten Darlehen in Höhe von 150 Milliarden Euro für Verteidigungsinvestitionen bietet. Die Idee ist, effektiver und kooperativer zu investieren, da die Länder ihre Nachfrage bündeln und so gemeinsam Einkäufe tätigen können.
- Nutzung der Mittel aus dem EU-Haushalt Es geht hierbei darum, mehr Mittel aus dem EU-Haushalt in Verteidigungsinvestitionen zu lenken. Die Mitgliedstaaten werden neue Möglichkeiten haben, kohäsionspolitische Programme zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu nutzen.
- Mobilisierung von privaten Investitionen Die EU strebt ebenfalls eine Mobilisierung von Privatkapital an. Konkret soll die Europäische Investitionsbank-Gruppe den Umfang ihrer Kreditvergabe auf Verteidigungs- und Sicherheitsprojekte ausweiten. Durch die Einbindung privater Investoren will die EU die Finanzierungsquellen diversifizieren und die finanzielle Grundlage ihrer Verteidigungsinitiativen auf ein breites Fundamt stellen. Gleichzeitig kündigte Deutschland eine Lockerung der Schuldenbremse an, um höhere Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Zusätzlich wurde einen 500-Milliarden- Euro-Fonds angekündigt, der in den nächsten 10 Jahren für die Verbesserung der deutschen Infrastruktur eingesetzt werden soll.

Erkenntnisse aus dem Draghi-Bericht
Die Initiative „ReArm Europe“ steht in engem Zusammenhang mit den Schlussfolgerungen des Draghi-Berichts - einer Analyse der europäischen Wettbewerbsfähigkeit, verfasst vom ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Dieser im September 2024 veröffentlichte Bericht plädiert für einen einheitlicheren europäischen Verteidigungssektor, wobei folgende Defizite benannt wurden:
- Die öffentlichen Verteidigungsausgaben in Europa sind insgesamt nur ein Drittel der Ausgaben in den Vereinigten Staaten. Nur zehn Mitgliedstaaten stellen mehr als 2 Prozent ihres BIP dafür bereit. Darüber hinaus hat der Sektor Schwierigkeiten, Zugang zu privaten Investitionen zu erhalten.
- Die europäische Verteidigungsindustrie ist aufgrund unzureichender Koordination stark fragmentiert, was zu einer heterogenen Produktpalette führt.
- Die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind begrenzt. Die Europäische Union hat im Jahr 2022 10,7 Milliarden Euro dafür aufgewendet. In den Vereinigten Staaten wurden 2023 insgesamt 140 Milliarden investiert.
- Die internationale Abhängigkeit ist sehr hoch: „Von den insgesamt 75 Milliarden Euro, die die Mitgliedstaaten zwischen Juni 2022 und Juni 2023 ausgegeben haben, gingen 78 Prozent an Lieferanten außerhalb der Europäischen Union, wobei hiervon 63 Prozent in den Vereinigten Staaten ansässig waren.“
Der Bericht beschreibt Lösungen zur Stärkung des europäischen Verteidigungssektors: Neben den für das nächste Jahrzehnt erforderlichen Investitionen in Höhe von rund 500 Milliarden Euro muss die EU unter anderem die europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie umsetzen, die Ausrüstung harmonisieren und standardisieren, den Zugang zu Finanzmitteln verbessern und verstärkt europäische Hersteller präferieren.
Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigung im Fokus
Die Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigungssektor steht seit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine im Fokus. Diese Bereiche sind Subsektoren des Industriesektors. Ende Februar macht die europäische Luft und Raumfahrt und der Verteidigungssektor vier Prozent des MSCI Europe Index aus und hat somit einen Umsatzanteil von weniger als zwei Prozent am amerikanischen Aktienmarkt. Die Unternehmen in diesem Sektor konzentrieren sich auf drei Länder: Frankreich (47 Prozent), Vereinigtes Königreich (30 Prozent) und Deutschland (13 Prozent).
Seit Anfang 2022 haben die europäischen Unternehmen des Sektors sich deutlich stärker als der gesamte Aktienmarkt entwickelt (+161 Prozent im Vergleich zu +26 Prozent für den europäischen Aktienmarkt). In den USA entwickelt ich der Sektor weitgehend analog den US-Aktienmärkten. Die Begeisterung der Anleger für die europäischen Luft-, Raumfahrt und den Verteidigungssektor hat seit Anfang Februar zu einer gewissen Euphorie und mithin überkauften Bedingungen geführt.
Bewertung: Kurzfristig überzogen, langfristig weiterhin Potenzial
Die europäischen Luftfahrt- und Verteidigungsunternehmen werden derzeit aufgrund günstiger Marktbedingungen und strategischer Initiativen optimistisch gesehen. Betrachtet man die Bewertung, so weist der Index für die vergangenen 10 Jahre ein durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 21 auf, während das aktuelle KGV derzeit bei 26 liegt. In Bezug auf die EV/EBITDA Ratio sieht es mit einem historischen Durchschnitt von 9 gegenüber derzeit 14 ähnlich aus. Potentielle Störfaktoren können hier auch in Zukunft für Volatilität sorgen.
Es könnten unter anderem Gewinnmitnahmen stattfinden, wenn Investoren mögliche Hürden wie Lieferkettenprobleme, Inflationsdruck und regulatorische Hürden entdecken. Verteidigungsprodukte sind zusätzlich sehr stark von Rohstoffen wie Graphit, Aluminium oder Tellur abhängig, bei denen China der wichtigste Produzent ist. Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Europa und China können Versorgungsengpässe und Preisschwankungen nicht ausgeschlossen werden. Langfristig dürfte die neue Haltung der EU in Bezug auf ihre Verteidigung – höhere Ausgaben für das kommende Jahrzehnt – dem Teilsektor jedoch Rückenwind verschaffen.
Unsere Anlagestrategie in turbulenten Zeiten
Seit Jahresbeginn ist die Nachrichtenlage unverändert intensiv: Trump hat einen neuen Handelskrieg vom Zaun gebrochen, DeepSeek hat die US-Märkte erschüttert, und nun reagiert die EU auf die zunehmenden geopolitischen Spannungen.
Wir bleiben zwar bei einer moderaten Übergewichtung von Aktien, haben aber im Februar eine wichtige Anpassung vorgenommen: Wir haben die USA nach mehreren Quartalen der Übergewichtung auf neutral genommen, indem wir Gewinne im IT-Sektor realisierten und in Europa investierten. In der Sektoralen Allokation sind wir neutral gegenüber dem Industriesektor, der die Luft- und Raumfahrt und den Verteidigung beinhaltet.
In Bezug auf den Subsektor Luft- und Raumfahrt und Verteidigung haben wir zwar keine explizite Haltung zu den Subsektoren, geben aber die folgende Empfehlung ab: Investoren, die noch nicht im Verteidigungssektor engagiert sind, empfehlen wir aufgrund der Volatilität der Aktienkurse in diesem Sektor einen vorsichtigen Einstieg. Nach einem möglichen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine dürften die Verteidigungsausgaben zwar weiterhin steigen, aber der Weg dorthin könnte holprig und mit den bereits erwähnten Hürden verbunden sein. Diese Herausforderungen können in der Zukunft jedoch auch attraktive Einstiegsmöglichkeiten bieten. Anleger, die bereits in diesem Sektor investiert sind, raten wir aufgrund der Volatilität des Sektors von einer massiven Übergewichtung in diesem kleinen Sektor ab.
Empfehlungen für Verteidigungsaktien
Langfristig werden viele Unternehmen von der neuen Strategie der EU profitieren. Diese Unternehmen lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. Erstausrüster (OEM), die militärische Ausrüstung herstellen, wie Rheinmetall und Thales. Tier-1-Unternehmen wie Honeywell sind auf Systeme und Montage spezialisiert und liefern Bauteile an die OEM. Tier-2-Unternehmen wie Aperam stellen halbfertige Erzeugnisse her. Schließlich liefern Unternehmen der Stufe 3, wie Glencore und Rio Tinto, Rohstoffe. Wobei ihre Fördermengen mit dem globalen Konjunkturzyklus korreliert sind.
Während Europa seine Investitionen in die militärische Verteidigung erhöht, muss ein anderes Feld ebenfalls beachtet werden: die Cybersicherheit. Da die Cyberbedrohungen zunehmen, muss Europa seine digitale Infrastruktur entsprechend schützen. Verschiedenen Berichten zufolge beläuft sich der Markt auf etwa 200 Milliarden Euro und soll bis 2030 auf 500 Milliarden Euro anwachsen. Es gibt zahlreiche Unternehmen, die sich mit Cybersicherheit befassen. Die beiden größten und bekanntesten sind Palo Alto und CrowdStrike. Nachfolgend finden Sie eine Tabelle mit Unternehmen aus unserem Universum und unseren Empfehlungen.
Mehrere bekannte Rüstungsunternehmen wie Northrop Grumman, L3Harris, General Dynamics und BAE Systems sind nicht aufgeführt, weil sie auf der Liste der umstrittenen Waffen (CWL) stehen. Diese Liste enthält Unternehmen, die in den Bereichen Streumunition, Atomwaffen, weißer Phosphor Antipersonenminen oder abgereichertes Uran tätig sind.
Fazit
Die Initiative „ReArm Europe“ markiert einen historischen Wendepunkt in der Politik der Europäischen Union, die darauf abzielt, die Verteidigungsfähigkeiten des Kontinents als Reaktion auf die eskalierenden geopolitischen Spannungen zu stärken. Für Investoren bietet sich hier die Möglichkeit, von Europas verstärktem Fokus auf traditionelle Militärsektoren und aufstrebende Bereiche wie Cybersicherheit zu profitieren. Allerdings ist es für Investoren unerlässlich, potenzielle Herausforderungen wie Unterbrechungen der Lieferkette und regulatorische Hürden, die sich auf kurzfristige Bewertungen auswirken können, im Auge zu behalten. Langfristig dürfte das Engagement der EU für höhere Verteidigungsausgaben in den kommenden zehn Jahren dem Subsektor für anhaltenden Rückenwind sorgen.¹

¹Die Wertentwicklung der Vergangenheit, Simulationen oder Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für eine künftige Wertentwicklung. Die dargestellte Bruttowertentwicklung berücksichtigt keine individuellen Gebühren wie Transaktionskosten, Verwahr- und Depotgebühren sowie sonstige Kosten, die sich bei einer Investition in diese Finanzindizes mindernd auf die Kursentwicklung auswirken. Marktüblich liegen diese bei durchschnittlich ca. 1,6 % p. a.. Wertentwicklungen in Fremdwährungen unterliegen Währungskursschwankungen und können für Anleger in EUR abweichen.