
Wochenkommentar: Zinssenkungsfantasie beflügelt Märkte
Viele Aktienmärkte liegen nahe ihrer Allzeithochs oder haben diese Woche neue Rekordstände erreicht. Die Märkte haben sich etwas beruhigt und die Unsicherheit lässt nach. Die Sorge vor Zöllen hat nachgelassen, die Unternehmensgewinne sind im Allgemeinen positiv und die Anleger scheinen sich auf eine Zinssenkung in den USA vorzubereiten.
Nach den jüngsten schwachen US-Arbeitsmarktdaten scheint eine Zinssenkung durch die Federal Reserve in der nächsten Woche sicher zu sein. Dies gilt umso mehr, als die Inflation offenbar gut unter Kontrolle ist. Die Fed hat ein doppeltes Mandat: Einerseits muss sie für Preisstabilität sorgen bzw. die Inflation eindämmen, andererseits muss sie für maximale Beschäftigung sorgen. Letzteres zeigt in letzter Zeit einige Risse, die Maßnahmen seitens der Fed erforderlich machen werden.
Historisch gesehen ist eine Zinssenkung positiv für die Aktienmärkte. Seit 1980 ist der S&P 500 Index in den ersten 12 Monaten nach einer ersten Zinssenkung um durchschnittlich mehr als 14 % gestiegen. Es steht jedoch zur Diskussion, ob dies die erste Zinssenkung sein wird oder ob die Zinssenkung vom September letzten Jahres als erste Senkung anzusehen ist. Die Zukunft wird zeigen, ob sich die historischen Statistiken bewahrheiten werden. Auf jeden Fall werden dies interessante Zeiten sein, denn eine Zinssenkung geht oft auch mit einer Zunahme der Volatilität einher. Und dies könnte gerade zu dem Zeitpunkt eintreten, an dem wir historisch gesehen in die zwei intensivsten Monate des Jahres eintreten.
Anleihen: Risiken für lange Laufzeiten
Die Renditen 10-jähriger US-Anleihen setzten ihren bemerkenswerten Rückgang in diesem Monat fort und näherten sich 4 %, deutlich unter den 4,3 % zu Beginn dieses Jahres. Auch die europäischen Renditen sind in diesem Monat gefallen, allerdings in deutlich geringerem Umfang. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen liegen deutlich über den 2,35 % zu Jahresbeginn.
Die meisten Anleger hatten für dieses Jahr einen Anstieg der US-Renditen und einen Rückgang der europäischen Renditen erwartet, doch das Gegenteil ist eingetreten, und das Blatt scheint sich zu wenden. Der Druck auf die US-Notenbank, nächste Woche mit Zinssenkungen zu beginnen, nimmt zu. Unterdessen bestätigten die Entscheidungsträger auf der Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in dieser Woche, dass sie vorerst keine weiteren Zinssenkungen vornehmen werden, da die Inflation unter Kontrolle zu sein scheint.
Die EZB ist wahrscheinlich eher besorgt über die politische und fiskalische Lage in Frankreich, wo diese Woche ein neuer Premierminister ernannt werden musste, um in einer verzweifelten Anstrengung einen politisch akzeptablen Haushalt aufzustellen und Europa und die Anleger davon zu überzeugen, dass die öffentlichen Finanzen auf einem nachhaltigen Kurs sind.
Die Märkte blieben relativ ruhig, da Wahlen kurzfristig noch vermieden werden können, aber schwierige Entscheidungen lassen sich nicht ewig hinauszögern. Frankreich war zwar schon immer zu groß, um wirtschaftlich zu scheitern oder gerettet zu werden, aber seine entscheidende Rolle für die nukleare Sicherheit Europas erhöht nun seine Bedeutung für das Überleben Europas. Letztendlich werden die EZB und Europa „alles tun müssen, was nötig ist“, um Frankreich und den Euro zu retten, und dazu gehört auch die Ausgabe von Eurobonds.
Der politische Druck auf die US-Notenbank Fed wächst noch schneller und direkter als auf die EZB. Die Konjunktur in den USA verlangsamt sich, während die Inflationszahlen in dieser Woche angesichts der Einführung von Zöllen moderater ausfielen als befürchtet. Präsident Donald Trump hat seine Bemühungen um mehr Kontrolle über die Zentralbank verstärkt, wozu auch die Ernennung mehrerer regionaler Fed-Gouverneure Anfang nächsten Jahres gehört. Die erste Zinssenkung wird voraussichtlich nächste Woche erfolgen, aber eine dauerhaftere Lockerung der Geldpolitik wird nun für 2026 erwartet, in einem Umfeld, in dem die Unabhängigkeit der Fed zunehmend in Frage gestellt wird.
Die Zentralbanken könnten bereit (oder gezwungen) sein, die Zinsen in den nächsten Jahren niedriger als üblich zu halten, was die Renditen für Anleihen mit kurzer Laufzeit stabilisieren würde. Die zunehmenden Sorgen um die langfristige Inflation und die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung werden jedoch wahrscheinlich eine steigende Risikoprämie für längerfristige Anleihen erforderlich machen.
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