Wochenkommentar: Wechselbad der Gefühle

Vergangene Woche blickten die Märkte nicht nur auf die Unternehmenszahlen für das dritte Quartal, sie standen insbesondere im Bann der US-Wahl.
Nach einer moderaten Verkaufswelle wegen steigender Corona-Infektionszahlen in Europa und unter den Prognosen liegenden Zahlen einiger Technologiekonzerne drehten die Märkte kurz vor der Wahl eindeutig ins Plus. Unterstützt wurde dieser positive Trend durch ermutigende Daten aus Chinas Fertigungsindustrie, die darauf hindeuten, dass die Erholung in Asien an Dynamik gewinnt, und durch die Wahlumfragen in den USA, die einen klaren Sieger erwarten ließen.
Wie so oft war die Wirklichkeit dann doch etwas anders, und die Wahl ging so knapp aus, dass noch kein Sieger festgestellt werden konnte. Die Märkte setzten ihren Aufwärtstrend trotzdem fort, wobei es zwischen den verschiedenen Sektoren große Unterschiede gab. Gesundheit und Technologie verzeichneten eine starke Rally, angetrieben von der Idee, dass ein Kongress ohne klare Mehrheitsverhältnisse auf absehbare Zeit keine Regulierungsänderungen beschließen dürfte. Industrie und Grundstoffe verzeichneten hingegen eine Underperformance, weil eine blaue Welle, bei der die Demokraten nicht nur das Weiße Haus, sondern auch die Mehrheit im Kongress erlangen, zu einem erheblichen Anstieg der Infrastrukturinvestitionen führen würde.
Mittlerweile sieht alles nach einem Wahlsieg von Joe Biden aus. Doch solange juristische Auseinandersetzungen ein finales Wahlergebnis behindern, dürften die Märkte volatil bleiben. Sobald die US-Präsidentenwahl final entschieden ist, dürften die Investoren ihr Augenmerk wieder auf die Fundamentaldaten richten und sich stärker auf eine potenzielle Erholung im Jahr 2021 konzentrieren. Deshalb werden in den kommenden Wochen und Monaten Informationen über die Entwicklung von Impfstoffen ein wichtiger Faktor sein. Neben weiteren Konjunkturhilfen in Europa und in den USA ist das Eindämmen des Covid-19-Virus nach wie vor eine entscheidende Voraussetzung für eine stabilere und nachhaltigere konjunkturelle Erholung.
Anleihen: „Eine Marathon-Woche“
Bei der US-Wahl blieb die vom Markt prognostizierte blaue Welle aus. Aber auch die rote Fata Morgana gab es nicht. Joe Biden wird voraussichtlich mit einem gespaltenen Kongress zu kämpfen haben – da wird es schwierig, ein großes fiskalpolitisches Konjunkturprogramm durchzusetzen. Bis Dienstag hatten die Märkte noch mit einer blauen Welle, also einem überwältigenden Sieg der Demokraten mit klaren Mehrheitsverhältnissen gerechnet; das hatte die Renditen steigen lassen. Als die Hoffnung auf weitere Konjunkturhilfen vom Staat schwand, fielen die Renditen auf US-Staatsanleihen (Treasuries) am Mittwoch in einem volatilen Handel deutlich. Wir rechnen damit, dass sich der Abwärtstrend bei den Renditen in den USA fortsetzt, vor allem bei Anleihen mit längeren Laufzeiten.
Unterdessen gelten in weiten Teilen Europas wieder nationale (teilweise) Lockdowns, weil die Regierungen zu dem Schluss gekommen sind, dass härtere Maßnahmen erforderlich sind, um dem Coronavirus Herr zu werden. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Eurozone dürfte im Schlussquartal 2020 erneut sinken. EZB-Präsidentin Christine Lagarde betonte bei der jüngsten Pressekonferenz, ihr Haus werde der Wirtschaft des Euroraums, die jetzt erneut heruntergefahren werden muss, alle Unterstützung bieten, die nötig ist. Lagarde ist auch als große Verfechterin einer engeren Abstimmung zwischen Fiskal- und Geldpolitik bei der Bekämpfung der Corona-Krise bekannt. Dies widerspricht dem Politik-Mix, der vor zehn Jahren bei der europäischen Staatsschuldenkrise umgesetzt wurde.
Die Rendite auf deutsche Staatsanleihen blieb nach dem Beginn der zweiten Lockdown-Welle in Europa stabil, und auch die Risikoaufschläge auf Anleihen der europäischen Peripherieländer bewegten sich kaum. Dies war ein deutlicher Unterschied zum März dieses Jahres, als die Märkte vom Lockdown überrascht wurden.
Vor dem Wahlabend sanken die Kurse von US-Staatsanleihen am langen Ende der Zinsstrukturkurve, weil die Investoren überwiegend über den Erwartungen liegende Wirtschaftsdaten und wachsende Chancen auf einen Sieg der Demokraten prognostizierten. Ein Bear Steepening – also eine Situation, in der die Zinsen steigen und die Zinsstrukturkurve steiler wird – schickte die Rendite auf 10-jährige US-Staatsanleihen über die Marke von 0,85 % und vergrößerte den Renditeabstand von 30-jährigen US-Staatsanleihen gegenüber französischen Staatsanleihen gleicher Laufzeit auf mehr als 125 Basispunkte (Bp). Vor diesem Hintergrund haben wir in unseren Portfolios lang laufende französische Staatsanleihen gegen US-Staatsanleihen ausgetauscht (und das Wechselkursrisiko abgesichert). Auch nach Abzug der Hedging-Kosten dürfte dies noch ausreichend Nettorendite bringen. Diese Neupositionierung erhöht das Potenzial des Portfolios, denn US-Staatsanleihen können sich stärker an das Zinsniveau in Europa anpassen. Sollte es in den USA zu einer Regierung mit unklaren Mehrheitsverhältnissen kommen, dürfte dies eher früher als später eintreten...
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