
Wochenkommentar: Tapering in Sicht
Das spannendste Ereignis der vergangenen Woche war die Rede des US-Notenbank Chefs Jerome Powell beim Fed-Treffen im amerikanischen Jackson Hole. Hierbei gab er bekannt das Tapering, das heißt das Rückführen der momentanen Anleihenkäufe, noch dieses Jahr starten zu wollen, gab jedoch noch keinen genaueren Zeitpunkt hierfür an.
Der US-Arbeitsmarkt bewegt sich, laut Powell, in die richtige Richtung, aber ein Erreichen des Niveaus von vor der Pandemie sei noch in weiter Ferne, gleichzeitig sei der Inflationsanstieg von vorübergehender Natur. Damit stünden Zinsanhebungen noch nicht unmittelbar bevor. Der Dow Jones Index und der S&P 500 Index reagierten positive auf seine Rede.
Zwar leitet die US-Notenbank sukzessive eine geldpolitische Wende ein, doch dürfte ihr Vorgehen zeitlich lange gestreckt bleiben. Dies erklärt die immer neuen Rekordhöhen der Aktienindizes. Der S&P 500 Index steht bei knapp über 4500 und liegt damit beinahe doppelt so hoch wie der Tiefstand vom März 2020 und 30 % über dem Hoch vor der Pandemie. In Europa wurden vor Kurzem Allzeithochs erreicht, was auch für den MSCI World Index gilt. Neben der expansiven Politik der Fed gab die überaus starke Berichtssaison den Indizes kräftigen Auftrieb.
In den USA übertrafen sektorenübergreifend 69 % der Unternehmen die Gewinnprognosen der Analysten. In Westeuropa schnitten 53 % der Unternehmen besser ab als erwartet, obwohl Sektoren wie Energie und Kommunikation eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung verzeichneten.
Hinsichtlich der Bewertungen halten wir den Markt nicht für überteuert. Sowohl der S&P 500 Index als auch der STOXX Europe 600 Index werden knapp über ihren langfristigen Durchschnittswerten bewertet. Es gibt zudem nur wenige Anlagen, die so attraktiv wie Aktien sind, und solange es nicht zu einem massiven externen Ereignis kommt, beispielsweise neue Coronavirus-Varianten, ein (Handels-)Krieg oder regulatorische Eingriffe, gibt es kaum Gründe, weshalb die positive Stimmung an den Aktienmärkten nicht anhalten sollte. Unsere Asset-Allokation besteht aus einer Übergewichtung von Aktien, obwohl wir gegenüber möglichen Risiken wachsam bleiben.
Anleihen: Gefangen
Sowohl die zehnjährigen US-Staatsanleihen als auch die deutschen Bundesanleihen werden zu Renditen gehandelt, die seit Februar 2021 nicht mehr so niedrig waren. Damals sprangen Anleger auf das Reflationsthema an und die Renditen bewegten sich allmählich nach oben (Reflation bezeichnet eine extrem expansive Geldpolitik um einer drohenden Deflation entgegenzuwirken). Heute bleiben die Inflationserwartungen jedoch auf erhöhtem Niveau, obwohl die Wachstumssorgen zunehmen. Folglich fallen seit Ende März die realen Zinsen und die US-Renditekurve flachte um etwa 60 Basispunkte ab. Anleger beobachten weiterhin den Stagflationsdruck, der bereits aus dem Konsumklimaindex der University of Michigan erkennbar war. (Stagflation wird in der Regel als hohe Inflation in Kombination mit hoher Arbeitslosigkeit und stagnierender Nachfrage in einer Volkswirtschaft definiert.) Diese Sorge könnte sich in den kommenden Monaten verstärken, solange die Deltavariante des Coronavirus die Wirtschaftsaktivitäten dämpft und den Handel einschränkt.
Die Renditen der US-Staatsanleihen werden hierbei von drei Faktoren beeinflusst: Die mögliche Drosselung geldpolitischer Maßnahmen („Tapering“) auf der nächsten Fed Sitzung am 22. September, die Auswirkungen der Deltavariante auf die Wachstumsprognosen und den Konjunkturmaßnahmen. Geopolitische Spannungen in Afghanistan werden sich langfristig nicht auswirken.
In der Eurozone gibt es im September zwei wichtige Ereignisse, die sich auf Risikoaufschläge und Laufzeit auswirken könnten. Zum einen wird es am 9. September eine Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) geben, bei der Investoren Andeutungen hinsichtlich der Zukunft des Pandemie-Notfallkaufprogramms erwarten. Am 26. September finden in Deutschland Bundestagswahlen statt, bei denen ein eindeutiger Ausgang noch nicht absehbar ist. Wir erwarten, dass die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen die Grenzen der aktuellen Handelsspanne von -39 bis -53 Basispunkten austesten könnten. Staatsanleihen der Peripheriestaaten im Euroraum könnten ebenfalls volatiler werden. Es besteht jedoch Einigkeit, dass die EZB ihre eigenen Bemühungen der letzten Jahre zur Stützung der Märkte nicht gefährden wird.
Trotz verbesserter Marktdaten in Schwellenländern hinsichtlich der Wirtschaftsaktivitäten (ISM-Einkaufsmanager-Gesamtindex; PMI) und einer Kapitalspritze über EUR 650 Mrd. vom Internationalen Währungsfonds könnte der Weg für Schwellenländer ein schwieriger sein. Dies gilt auch für andere riskante Anlagen, bei denen unsere Position übergewichtet ist, beispielsweise bei Unternehmensanleihen mit hoher Bonität und Hochzinsanleihen. Die Veröffentlichung der Fundamentaldaten in den nächsten Wochen, beispielsweise die US-Arbeitsmarktzahlen, die Inflation in der Eurozone und weitere PMI-Daten, könnten einen Hinweis geben, wie sich die zukünftige Entwicklung von Renditen und Risikoaufschlägen ausgestalten wird.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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