Wochenkommentar: Neuer Impfstoff und neue Lockdowns

Die vergangene Woche begann positiv. Das Biotechnologieunternehmen Moderna kündigte an, sein in der Entwicklung befindlicher Impfstoff habe dieselbe sehr hohe Wirksamkeit wie Pfizers Impfstoff, zu dem es in der Vorwoche eine Ankündigung gegeben hatte. AstraZeneca will ebenfalls in den kommenden Wochen Impfstoffnachrichten verkünden. Dies alles verbessert das Umfeld für Aktien.
Die Rally von Value-Aktien setzte sich in der vergangenen Woche fort. Titel aus den Sektoren Energie, Industrie und Finanzen entwickelten sich überdurchschnittlich, während Healthcare und Versorger hinterherhinkten. Die Ausschläge an den Märkten waren indes nicht so ausgeprägt wie nach Pfizers Nachricht in der Vorwoche. Fondsumfragen deuteten darauf hin, dass die Investoren mehr geparkte Liquidität in Aktien investieren. Die Liquiditätsquote des durchschnittlichen Portfolios fiel binnen einer Woche unter das Niveau von vor der Corona-Pandemie. Im Lauf der vergangenen Woche gerieten die Aktienmärkte aber wieder etwas unter Druck. In den USA erreichte die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen neue Höchststände, was in einigen Bundesstaaten zu neuerlichen Lockdowns führte.
Anleihen: An einer sehr kurzen Leine
Für Mitte des nächsten Jahres sieht der Ausblick zwar gut aus, aber auf kurze Sicht wird es schwieriger: Die Zahl der Corona-Infektionen steigt und führt zu neuerlichen Lockdowns. Normalerweise würde sich der Unterschied zwischen dem kurzfristigen und dem mittelfristigen Ausblick an den Anleihemärkten zeigen, aber die Zentralbanken halten die Anleihemärkte an der kurzen Leine.
Die Märkte werden in den kommenden Tagen schlechte Wirtschaftsdaten zu verkraften haben, während steigende Corona-Infektionszahlen die Regierungen zwingen, ihren Volkswirtschaften wieder härtere Beschränkungen aufzuerlegen. Die Auswirkungen zeigen sich unter Umständen schon in den zahlreichen Geschäftsklimaindikatoren, die Anfang dieser Woche veröffentlicht werden (unter anderem die Einkaufsmanagerindizes (PMI) in Europa und den USA, der Ifo-Geschäftsklimaindex in Deutschland und der INSEE in Frankreich).
Unterdessen sorgen aber ermutigende Nachrichten aus der Impfstoffentwicklung und die Hoffnung auf weitere fiskalpolitische Unterstützungsprogramme dafür, dass der Konjunkturausblick für Mitte des nächsten Jahres deutlich positiver und weniger unsicher ausfällt. Es gibt ein helleres Licht am Ende eines kürzeren, aber tieferen Tunnels.
So ein Tauziehen zwischen dem kurzfristigen und dem mittelfristigen Ausblick hätte früher an den Anleihemärkten Volatilität ausgelöst. Heute halten die Zentralbanken die Anleihemärkte aber an einer sehr kurzen Leine und lassen in keine Richtung eine nennenswerte Überreaktion zu. In Japan ist dies seit Jahren die offizielle geldpolitische Linie (die zur „Steuerung der Renditekurve“ geführt hat), in Europa findet diese Politik jetzt seit einigen Jahren statt, und die USA sind seit Beginn der Pandemie Anfang dieses Jahres dazu übergegangen.
EZB-Chefin Christine Lagarde machte vergangene Woche unmissverständlich klar, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Anleihekaufprogramm im Dezember erheblich ausweiten will, und sie äußerte den ausdrücklichen Wunsch, dass die Regierungen diese Gelegenheit nutzen, um in der Pandemie-Krise so viel wie möglich auszugeben. Die EZB hat bewusst die Aufgabe übernommen, eine aggressive fiskalische Expansion zu ermöglichen – in der Hoffnung, dass dies die Inflation ankurbelt, was der EZB bislang nicht gelungen ist. Niedrigere Leitzinsen, die bereits bei -0,5 % liegen, scheinen wohl kaum noch eine Option zu sein. Da die Leitzinsen schon seit Langem am Boden sind, nähern sich die langfristigen Zinsen diesen Leitzinsen an.
In den USA läuft dieser Prozess noch. Die Investoren in US-Staatsanleihen gewöhnen sich immer noch daran, an die Kette gelegt zu sein, was dafür sorgt, dass die längerfristigen Zinsen zumindest jetzt noch deutlich über den Leitzinsen liegen. Wir rechnen damit, dass die Fed die kurzfristigen Zinsen mindestens die nächsten fünf Jahre bei null belässt, denn eine (ausreichende) Inflation ist nicht in Sicht. Jedes Mal, wenn die Fed die Investoren an diese neue Realität erinnert, wird es für die Zinsen in den USA schwieriger, von den (bei Null liegenden) Leitzinsen abzuweichen.
Bei der nächsten Fed-Sitzung (am 10. Dezember) rechnen wir damit, dass die Geldpolitiker die durchschnittliche Laufzeit der von der Notenbank gekauften Anleihen erhöht und damit stärker Einfluss auf das lange Ende der Renditekurve nimmt. Deshalb gehen wir davon aus, dass die US-Zinsen fallen und US-Staatsanleihen sich nächstes Jahr trotz historisch niedriger Zinsen und einer starken, aber nur teilweisen Konjunkturerholung nach der Pandemiekrise relativ gut entwickeln. Da die Risikobereitschaft getragen von der konjunkturellen Erholung nächstes Jahr wachsen dürfte, ist damit zu rechnen, dass riskantere Anleihen sogar noch stärkere Kurssteigerungen verzeichnen als amerikanische und deutsche Staatsanleihen, wo doch vor allem die deutschen Staatsanleihen unter den negativen Renditen leiden...
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