
Wochenkommentar: Märkte setzen ihre Rotation fort
Vergangene Woche war eine Rotation von den zyklischen Teilen des Aktienmarkts zu Wachstumstiteln (Growth) zu beobachten. Growth- und defensive Aktien konnten eine überdurchschnittliche Wertentwicklung erzielen, während Aktien aus dem Sektor Energie im Zuge von deutlich sinkenden Rohstoffpreisen unter Druck gerieten.
Die Erholung von Growth-Titeln könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Investoren mit einer Lockerung des geldpolitischen Kurses der US-Notenbank Fed rechnen, weil sich die konjunkturellen Aussichten eintrüben. Die ISM-Zahlen – ein monatlicher Frühindikator für die Entwicklung der US-Konjunktur in den kommenden drei bis sechs Monaten – waren durchwachsen. Zudem könnte der Markt allmählich die Aussicht auf ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine einpreisen. Wir schließen allerdings auch nicht aus, dass es sich lediglich um eine Korrektur handelt, denn zyklische Titel haben sich im ersten Halbjahr im Vergleich zu Growth-Aktien extrem gut entwickelt.
Wir gehen davon aus, dass die bevorstehende Berichtssaison gute Zahlen für das zweite Quartal 2022 bereithält. Die Unternehmen könnten beim Ausblick für das zweite Halbjahr 2022 jedoch vorsichtig agieren und große Unsicherheit, im Hinblick auf die Inflation und den damit verbundenen Kaufkraftverlust in Verbindung mit hohen Energiepreisen und einer unsicheren Energieversorgung, signalisieren. Letzteres könnte vor allem in Europa zu Problemen führen.
Nordstream 1, die Gas-Pipeline von Russland nach Deutschland, wird bis zum 22. Juli zehn Tage lang gewartet, und es stellt sich die Frage, in welchem Umfang sie danach wieder geöffnet wird. Es ist denkbar, dass Russland bei den Verhandlungen über die Wiedereröffnung auch Nord Stream 2, eine Erweiterung von Nord Stream 1, anspricht, weil diese neue Pipeline bislang noch nicht in Betrieb genommen wurde. Deutschland importierte vor dem Krieg rund 40 % seines Gases aus Russland. Vor den Wartungsarbeiten an Nordstream 1 wurden die Liefermengen durch die Pipeline seitens Russlands bereits um 60 % gedrosselt.
Um uns vorsichtiger zu positionieren, haben wir unsere Aktienpositionen auf eine Untergewichtung reduziert und auch die Sektorverteilung etwas defensiver gestaltet.
Anleihen: Verlagern die Investoren ihren Fokus?
In den vergangenen 40 Jahren konnte man an den Anleihemärkten einen Bullenmarkt beobachten (ein Bullenmarkt beschreibt hierbei anhaltend steigende Börsenkurse). 1981 erreichte die Rendite auf 10-jährige US-Staatsanleihen 16 % – ein Niveau, das heute unvorstellbar ist. 2020 fiel die 10-jährige Treasury-Rendite auf 0,5 %. 10-jährige Bundesanleihen aus Deutschland erreicht im selben Jahr ihr Tief bei -0,8 %.
Als Ursachen für diesen langfristigen Bullenmarkt bei Anleihen werden häufig Trends wie die demografische Entwicklung, die Globalisierung und die wachsende Ungleichheit angeführt. Jetzt gibt es Anzeichen dafür, wenn auch keine eindeutigen, dass diese Trends nachlassen. Gleichzeitig sind die Einflussfaktoren, die den Bullenmarkt in den vergangenen zehn Jahren angetrieben (und zu immer niedrigeren Renditen geführt haben) vermutlich immer noch gültig. Sie könnten wieder relevant werden, wenn die Federal Reserve in den USA und die Europäische Zentralbank in Europa erst einmal die jüngste Inflation abgewehrt haben.
In den Medien ist oft von Inflations- und/oder Stagflationsszenarien die Rede, sodass man den Eindruck gewinnen könnte, die Zinsen würden steigen. Obwohl das für das laufende Jahr auch zutrifft, ist der Zins auf 10-jährige Bundesanleihen in den vergangenen Wochen von 1,8 % auf 1,2 % gefallen. Die Märkte fürchten eine Rezession, die teilweise oder vollständig durch die restriktive Geldpolitik der Zentralbanken ausgelöst wird.
Richtig ist außerdem, dass die längerfristigen Inflationserwartungen gefallen sind. Im April/Mai lag die durchschnittliche Erwartung für die Inflation in den USA und in Deutschland in den kommenden zehn Jahren bei 3 %. Heute liegt sei bei rund 2,4 % für die USA und 2,1 % für Deutschland. Die Investoren scheinen der Meinung zu sein, dass die Zentralbanken die Inflation in den Griff bekommen.
Deshalb sind die Renditen real, also inflationsbereinigt, auch dieses Jahr deutlich gestiegen. Insofern werden Unternehmen und Staaten für ihre Schulden mehr bezahlen müssen. Die Investoren sollten deshalb doppelt besorgt sein, denn nicht nur die Zinsen sondern auch die Ausfallwahrscheinlichkeiten (Credit Risk) steigen.
Auf Euro lautende Investment-Grade-Unternehmensanleihen (Anleihen mit hoher Bonität) rentieren jetzt 2,15 % über deutschen Staatsanleihen mit einer entsprechenden Laufzeit. Damit liegen die Risikoaufschläge nur 35 Basispunkte unter der Spitze, die wir während der Corona-Krise erlebt haben. Ansonsten müssen wir bis zur Euro-Krise 2011 zurückblicken, um ähnliche Risikoprämien bei Anleihen zu finden. Es ist naheliegend, dass in Zeiten, in denen wir eine Krise zu befürchten haben, die Investoren wieder Staatsanleihen als sichere Häfen ansteuern und die Renditen fallen.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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