
Wochenkommentar: Keine normalen Zeiten
Die Aktienmärkte waren erleichtert, dass die US-Notenbank Fed die Leitzinsen „nur“ um 0,75 Prozentpunkte angehoben hat. Die Zinssteigerungen spiegeln die konsequenten Bemühungen der Fed, die Inflation einzudämmen; das sind in normalen Zeiten keine guten Nachrichten für Aktien. Aber wie der Fed-Vorsitzende Powell nach der Sitzung sagte: „Dies sind keine normalen Zeiten.“
Der STOXX Europe 600 und der S&P 500 bewegen sich seit Mitte Juni nach oben und haben seit dem jüngsten Tief fast 10 % hinzugewonnen. Die alles entscheidende Frage lautet: Ist das angesichts der sehr hohen und hartnäckigen Inflation, der Zinserhöhungen der Fed und eines rückläufigen Wirtschaftswachstums gerechtfertigt? Nach den ersten paar Wochen der aktuellen Berichtssaison haben die Investoren bereits einen ersten Ausblick darauf bekommen, was bevorsteht.
Die Unternehmen versuchen verzweifelt, trotz steigender Kosten ihre Margen zu halten. Deshalb sparen sie bei Aktivitäten, die kurzfristig als weniger wichtig eingestuft werden. Die Werbeausgaben gehören zu den ersten Bereichen, in denen der Rotstift angesetzt wird. Dies zeigte sich auch in den Geschäftszahlen einiger Unternehmen, die erstmals rückläufige Verkaufszahlen meldeten.
Beim Gewinnwachstum hatten die großen Ölkonzerne vergangene Woche die Nase vorn. Hohe Öl- und Gaspreise und Rekordmargen im Raffineriegeschäft spülen viel Geld in die Kassen.
Anleihen: Steigende Zinsen und sinkendes Wachstum
Die Rendite auf 10-jährige US-Staatsanleihen (Treasuries) erreichte Mitte Juni ihren Höchststand bei 3,47 %; seitdem ist sie auf 2,67 % gefallen. Auf ähnliche Weise fiel die Rendite auf 10-jährige Bundesanleihen von einem Hoch bei 1,75 % Mitte Juni auf 0,87 %.
Die US-Notenbank Fed beschloss am vergangenen Mittwoch eine Zinserhöhung um 75 Basispunkte (Bp), und wir rechnen in den nächsten Sitzungen mit weiteren Erhöhungen um 50 Bp. Nachdem die EZB ihren Leitzins auf null angehoben hat, rechnen wir damit, dass es hier bis zum Jahresende um weitere 75 Basispunkte nach oben geht. Diese Maßnahmen finden vor dem Hintergrund einer weltweit deutlichen konjunkturellen Abkühlung statt. Wir rechnen für dieses und das nächste Jahr mit einem unter dem Trend liegenden Wachstum. Einige der großen Volkswirtschaften, darunter auch die USA und die Eurozone, dürften in den nächsten 18 Monaten am Rande einer Rezession stehen oder in eine Rezession abrutschen, die allerdings mild verlaufen könnte.
Alles in allem gehen wir in unseren Prognosen davon aus, dass die Weltwirtschaft relativ glimpflich davonkommt und nicht alle Regionen und Bereiche gleichzeitig nach unten rauschen. Dieses Szenario ist unserer Einschätzung nach aktuell am wahrscheinlichsten. Wir müssen jedoch einräumen, dass die Risiken dieser Prognose eindeutig nach unten zeigen und ein klar artikuliertes Rezessionsrisiko bei 50 % liegt. Da die von der Geldpolitik vorgegebenen finanziellen Rahmenbedingungen immer restriktiver werden, wird auch die Auswahl von Anlageklassen schwieriger.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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