
Wochenkommentar: Ist der Trend von Dauer?
Seit Jahresbeginn konnten Value-Aktien eine vorteilhaftere Wertentwicklung als Wachstumstitel verzeichnen, und bisher scheinen die Investoren an diesem Trend festzuhalten. Dieser wird von zwei gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen getrieben, ist aber auch mit entgegengesetzten Faktoren konfrontiert.
Im MSCI World Index haben Wachstumsaktien (Growth-Aktien) eine deutlich unterdurchschnittliche Wertentwicklung vorzuweisen: IT und Gesundheitswesen verzeichnen seit Jahresbeginn ein Minus von nahezu 5 %. Zudem ist auch innerhalb einzelner Sektoren eine deutliche Korrektur zu erkennen, besonders im IT-Sektor. So liegen etwa im Software-Bereich eine Reihe von Aktien mehr als 20 % unter ihren historischen Hochs vom vergangenen Jahr. Auf der anderen Seite des Marktes glänzen zwei Sektoren mit einer bemerkenswerten überdurchschnittlichen Wertentwicklung: Energie verzeichnet ein Plus von mehr als 10 %, bei Finanztiteln sind es nahezu 5 %. Wachstumsaktien (Growth-Aktien) zeichnen sich hierbei durch ein hohes Umsatzwachstum aus und operieren häufig in innovationsreichen Geschäftsfeldern.
Diese Rotation wird vor allem von zwei gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen getrieben: erstens von einem hohen nominalen Wirtschaftswachstum, das typischerweise Value-Sektoren zugutekommt, und zweitens von einer Steigerung der langfristigen Zinsen, die hoch bewertete Wachstumssektoren und die dazugehörigen Aktien unter Druck setzt. Als Value-Titel bezeichnet man Unternehmen welche ein bewährtes Geschäftsmodell nutzen und deren Aktie unter Wert gehandelt wird.
Die entscheidende Frage für Investoren lautet also: Können Value-Titel weiterhin die positivere Wertentwicklung gegenüber Wachstumsaktien fortführen? Sie stellt sich vor allem, weil die Märkte zwei konträre Signale senden: erstens sind die von den Anleihemärkten diskontierten Inflationserwartungen in den vergangenen Wochen nicht weiter gestiegen, zweitens nahmen die Investoren die Geschäftszahlen der großen US-Banken (Value -Aktien) nicht besonders gut auf.
Um die Perspektiven von Value-Aktien versus Growth-Aktien zu beurteilen, werden die Investoren in dieser Woche zwei Entwicklungen analysieren. Zum einen wird die Sitzung der amerikanischen Zentralbank Fed möglicherweise neue Erkenntnisse zu den bevorstehenden geldpolitischen Maßnahmen bringen, zum anderen wird die Berichtssaison Aufschluss über die Gewinnentwicklung von Technologieaktien liefern. Sollten die Zinsen schnell steigen und andererseits der Hochpunkt der Gewinnentwicklung bei Technologieaktien überschritten sein dürften Wachstumstitel weiter unter Druck geraten.
Anleihen: Hohe Inflation, niedrige Zinsen.
Dieser Tage stellt sich die Frage: „Warum sind die Zinsen so niedrig, wo doch die Inflation so hoch ist?“ Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich Inflationszahlen auf die Vergangenheit beziehen, während die Zinsen zukunftsbezogen sind. Daraufhin stellt sich häufig folgende Frage: „Wenn die steigende Inflation nur zu geringen Zinssteigerungen führt, gehen die Investoren dann davon aus, dass die Inflation schon bald wieder nachlässt?“ Ja und nein.
Grundsätzlich gibt es viele verschiedene Zinssätze. Wenn wir uns auf US-Staatsanleihen beschränken, gibt es kurzfristige (2 Jahre) und langfristige (10 Jahre). Die Rendite auf 2-jährige Staatsanleihen hängt eng mit dem Leitzins der Notenbanken zusammen. Die Verzinsung von 10-jährigen Titeln wird wiederum von der Rendite auf 2-Jährige und von unterschiedlichen Zukunftserwartungen getrieben. Eine wichtige Prognosegröße ist diesbezüglich zum Beispiel die künftige Inflationsentwicklung.
Die diesbezüglichen Geschehnisse sind recht kurios: In den vergangenen Wochen sind die Inflationserwartungen für den in fünf Jahren beginnenden Fünf-Jahres-Zeitraum (die bekannte 5J/5J-Forward-Rate, die die Fed häufig bei ihren geldpolitischen Entscheidungen berücksichtigt) gefallen. Dies lässt sich jedoch nur teilweise mit der Erwartung erklären, dass Bidens „Build Back Better“-Konjunkturprogramm, das als inflationssteigernd gilt, kleiner werden dürfte.
Die Investoren sind hinsichtlich der Problematik steigender Zinsen zwar beunruhigt, gehen jedoch davon aus, dass die Notenbanken in der Lage sind mit dieser Problematik umzugehen. Insofern haben Prognosen der Zinsentwicklung weniger mit der Angst vor bereits eingetretener Inflation zu tun, sondern vielmehr mit einer Einschätzung der zu erwartenden Reaktion der Fed und der EZB.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf die jüngste geldpolitische Kehrtwende der Fed hinzuweisen. Die US-Notenbank hat den Zeitplan für den Übergang zu einer restriktiveren Geldpolitik intensiv gestrafft, nachdem die Fed die Inflation 2021 immer wieder als vorübergehend bezeichnet hatte. Jetzt rechnen die Märkte mit drei bis vier Zinserhöhungen, während sie vor drei Monaten noch von einer einzigen ausgegangen waren. Wir rechnen inzwischen mit vier Zinserhöhungen.
Die Fed überraschte die Märkte mit der Ankündigung, dass die quantitative Verknappung (die zu einer Verkürzung der Zentralbankbilanz führen wird) früher beginnt und vehementer ausfallen könnte.
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