
Wochenkommentar: Inflation im Fokus der Anleger
Ende der vorletzten Woche waren US-Aktien trotz eines enttäuschenden US-Arbeitsmarktberichts auf Rekordstände gestiegen. In den Augen der Investoren könnten die schwachen Arbeitsmarktdaten dafür sorgen, dass die expansive Geldpolitik, die der Motor hinter der historischen Erholungsrally ist, noch länger Bestand haben wird.
Der Arbeitsmarktbericht löste eine Erholung der von den Lockdown-Maßnahmen profitierenden Aktien aus. Dow Jones und S&P 500 Index schlossen auf Rekordständen. Denjenigen, die das Glas als halb voll betrachten, hat der Arbeitsmarktbericht die Angst vor einer eventuellen Überhitzung und einer steigenden Inflation genommen. Sie gehen davon aus, dass die US-Notenbank Fed ihre expansive Geldpolitik fortsetzt, und sind der Meinung, dass US-Präsident Joe Biden mit den dringend benötigten Konjunkturprogrammen auf dem richtigen Weg ist. In ihrem Szenario werden sich risikobehaftete Anlagen, insbesondere Wachstums- und Technologieaktien, weiterhin gut entwickeln.
Doch dann kam das Wochenende, das die Investoren offenbar zum Grübeln nutzten, und so dominierte in der vergangenen Woche an den Märkten eine andere Interpretation, die sich darauf konzentrierte, dass im April „nur“ 266.000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden, während die Analysten im Schnitt von einer Million ausgegangen waren. Diese weniger optimistische Interpretation stützt sich auf dieselben Daten, betrachtet das Glas aber eben als halb leer. Das Ergebnis war Verkaufsdruck an den Aktienmärkten. Nach der neuen Lesart signalisierten die Arbeitsmarktdaten eine gewisse Knappheit am Arbeitsmarkt, was zu steigenden Löhnen führen könnte. Hinzu kamen noch stark steigende Rohstoffpreise und die anhaltende Knappheit bei Halbleitern und im Transportsektor, und das Gesamtergebnis waren dann steigende Inflationserwartungen.
Anleihen: Ist die Inflation wieder auf Kurs?
Die Inflation ist für Anleiheinvestoren schon seit einiger Zeit das bestimmende Thema, nicht erst seit der vergangenen Woche. Das dürfte auch noch mindestens einige Monate lang so bleiben. Fast alle Investoren sind sich einig, dass im kommenden Jahr ein starkes Wirtschaftswachstum zu erwarten ist, weil die Corona-Beschränkungen wegfallen, die Staaten noch mehr investieren und die Zentralbanken weiterhin Geld drucken.
Für Anleiheinvestoren führt das hohe wirtschaftliche Wachstum zu reduzierten Ausfallrisiken, wodurch sinkende Risikoaufschläge zu einer positiven Wertentwicklung beitragen. Gleichzeitig erhöht mehr Wirtschaftswachstum allerdings auch das Inflationsrisiko, was bei steigenden Zinsen wiederum den Gesamtportfoliowert der Investoren schmälern würde. Der Inflationsausblick war bereits unsicher, und bei Investoren, Analysten und Politikern gingen die Einschätzungen weit auseinander.
In den vergangenen zehn Jahren haben sich Inflationsprognosen als überaus schwierig erwiesen. Den Zentralbanken ist es trotz all ihrer Bemühungen nicht gelungen, die Inflation auf das Zielniveau von 2 % anzuheben. Die Notenbanker haben das Vertrauen in ihre Fähigkeit, die Inflation vorherzusagen, verloren und lassen sich jetzt stärker von der tatsächlichen Inflation leiten. So wollen die meisten Zentralbanken die Zinsen niedrig halten und in hohem Umfang Anleihen kaufen, bis die tatsächliche Inflation dauerhaft über der Zielmarke von 2 % liegt. Das ist zwar gut für die Regierungen, die den Markt mit ihren Staatsanleihen fluten, aber für Anleiheinvestoren ist die damit verbundene Botschaft weniger eindeutig.
Die Zentralbanken haben bereits davor gewarnt, die Inflationszahlen würden bis Sommer volatil und voller Verzerrungen sein. Die tatsächlichen Inflationszahlen könnten sogar den Eindruck vermitteln, dass wir doch früher zu einer dauerhaften Teuerung zurückkehren; das zeigen gerade die am vergangenen Mittwoch veröffentlichten aktuellen Inflationsdaten aus den USA: Dort waren die Verbraucherpreise im April 3 % höher als noch vor einem Jahr, als Covid-19 die Wirtschaft am stärksten traf – dabei sind die volatilen Preise für Energie und Lebensmittel noch nicht einmal berücksichtigt. Wie gesagt waren wir ja vorgewarnt worden, dass dies passieren könnte und dass es ein vorübergehendes Phänomen sein würde. Es wird eine weiterhin expansive Geldpolitik benötigen, bis die Inflation wirklich wieder auf Kurs ist. Die Zentralbanken liegen mit ihrer Analyse vermutlich richtig, müssen davon aber erst die Märkte überzeugen.
Wir glauben, die Inflationszahlen werden die Notenbanken im zweiten Halbjahr in ihrem geldpolitischen Kurs bestätigen, was den momentanen Zinsanstieg stoppen wird. Bis dahin könnten die Zinsen allerdings weiter leicht steigen. Aktive Investoren, die sich bereits für eine Korrektur des jüngsten Renditeanstiegs in Stellung gebracht haben, könnten in ihren Portfolios erst noch Verluste hinnehmen müssen, bevor sie belohnt werden. Bis wir mehr Klarheit über diese günstigeren Inflationsdaten haben, scheint uns Vorsicht angebracht.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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