
Wochenkommentar: Growth-Aktien auf dem Vormarsch
Der November hat vielversprechend begonnen, da die Berichtssaison weiterhin positiv verläuft. Zwar leiden Unternehmen in bestimmten Marktsegmenten unter steigenden Kosten für Vorprodukte, aufgrund von Engpässen und höheren Preisen für Betriebsmittel, Werkstoffe und Personal, jedoch scheinen die Auswirkungen geringer als befürchtet, vorübergehend und häufig bereits in den Aktienkursen eingepreist zu sein.
Die Gewinnentwicklung ist nach wie vor recht positiv, und auch die Ausblicke der Unternehmen für die kommenden Quartale sind ermutigend. Dies wirkt an den Aktienmärkten als starke Unterstützung, und so sind die Kurse nach der negativen Wertentwicklung im September wieder in Richtung der früheren Allzeithochs gestiegen.
Eine genauere Analyse der Sektorenentwicklung zeigt, dass Finanzen und Energie in den vergangenen Wochen nach einer starken Rally kein weiteres Wachstum erzielen konnten. Auslöser dürfte eine Konsolidierung bei den Zinsen und den Ölpreisen gewesen sein. Gleichzeitig legten die defensiveren und stärker wachstumsorientierten Marktbereiche an Dynamik zu: Sektoren wie Gesundheit, Technologie und sogar der nicht zyklische Konsum verzeichneten eine bessere Wertentwicklung als die zyklischen Teile des Marktes. Man konnte also eine Verlagerung von zyklischen und Value-Aktien zu Growth- und defensiven Titeln beobachten, wie man ihn bereits mehrmals in 2021 feststellen konnte. Als Value-Aktien bezeichnet man hierbei Unternehmen welche ein bewährtes Geschäftsmodell nutzen und deren Aktie unter Wert gehandelt wird. Growth-Aktien hingegen zeichnen sich durch ein hohes Umsatzwachstum aus und operieren häufig in innovationsreichen Geschäftsfeldern.
Die Gruppe der Value-Aktien, in die Finanzen, Grundstoffe und die sogenannten Re-Opening-Aktien fallen, boomt in der Regel bei einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und einem allmählichen Anstieg der Zinsen. Wenn die Wachstumsdynamik nachlässt und die Zinsentwicklung eine Konsolidierung verzeichnet, setzen sich wieder Sektoren wie Technologie und Gesundheit an die Spitze. Das heißt: Wenn die Beschäftigungsberichte weiterhin gut bleiben, die Situation in den Lieferketten sich normalisiert und die Nachfrage weiter steigt, könnte die Value-Seite des Marktes wieder Aufwind bekommen.
Anleihen: Anhaltende Zinsvolatilität
Weltweit sind in den vergangenen Monaten die Renditen auf Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit gestiegen, da es in den Augen vieler Investoren inzwischen als erwiesen gilt, dass die Inflation eben kein vorübergehendes Phänomen ist. Die kurzfristigen Terminzinssätze preisen für die Eurozone eine erste Zinserhöhung im vierten Quartal 2022 oder im ersten Quartal 2023 ein. Die EZB sprach sich aber, anders als die Notenbanken anderer Industrieländer, jüngst noch gegen entschlossene Maßnahmen aus.
In den USA rechtfertigt die aktuelle konjunkturelle Lage nicht nur eine Reduzierung der Anleihekäufe (Tapering), die die Fed inzwischen angekündigt hat, sondern angesichts der aktuellen Inflationsdaten auch Zinserhöhungen. Aktuell rechnen die Analysten mit einem Anstieg der Teuerung auf rund 5,8 %, in den Wochen rund um den Jahreswechsel. Dementsprechend implizieren die Geldmarkt-Futures bis Dezember 2022 mindestens zwei Zinserhöhungen in den USA. Zweijährige US-Staatsanleihen, die aktuell um die Marke von 0,50 % schwanken, geben ein ähnliches Signal. Der Laufzeitbereich zwischen 5 und 30 Jahren, der ein Frühindikator für die Konjunkturentwicklung ist, signalisiert hingegen eine vorsichtigere Haltung. So wäre ein Anheben der Leitzinsen in eine Abschwächung der US-Wirtschaft hinein kontraproduktiv für die weitere wirtschaftliche Entwicklung.
Unserer Ansicht nach, wird sich die amerikanische Zentralbank Zeit lassen. Wir rechnen damit, dass die Fed nicht vor dem Ende des Taperings (d.h. frühestens Ende 2022) mit Zinserhöhungen beginnt. Außerdem stellt sich die Frage, wie mutig die Fed dabei vorgeht, wenn es nur noch wenige Monate bis zu den Zwischenwahlen in den USA sind. Darüber hinaus stehen nächstes Jahr Personalveränderungen im Offenmarktausschuss (FOMC: Federal Open Market Committee) der Fed an. Ein weiterer Faktor, der sich darauf auswirken kann, wie restriktiv die Fed dann wirklich bleibt. Daher dürften die Rentenmärkte (sehr) volatil bleiben, und die Investoren müssen stärker taktisch vorgehen, wenn sie mit ihrem Timing richtig liegen wollen.
In der Eurozone stieg nach der jüngsten EZB-Pressekonferenz der Renditeabstand zwischen 10-jährigen italienischen und deutschen Staatsanleihen um mehr als 30 Basispunkte. Kurzzeitig verließ die Rendite sogar ihre Handelsspanne der vergangenen fünf Monate, weil der Anleihemarkt den Umfang der Nettoanleihekäufe der EZB neu bewertet, jetzt wo Zinserhöhungen früher zu erwarten sind und die jüngste Inflationsdynamik die Vertreter eines restriktiveren geldpolitischen Kurses im EZB-Rat gestärkt hat. Auch wenn diese Renditeentwicklung durch Feiertage in einigen europäischen Ländern verstärkt worden war, konnte die darauffolgende Erholung der Kurse nicht den gesamten Renditeanstieg rückgängig machen. Nur zwei Monate vor Jahresende lässt sich ein weiterer Anstieg der Risikoaufschläge (Spreads) nicht ausschließen, denn in dieser Zeit lassen in der Regel die Liquidität und damit auch die Risikoneigung an den Rentenmärkten nach.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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