
Wochenkommentar: Doppelte Verknappung belastet Marktstimmung
Die Finanzmärkte sind seit Beginn diesen Jahres angespannt. Steigende Inflation und die verbalen Versuche der Notenbanken die Kapitalmärkte auf die Zinswende vorzubereiten, sorgten sofort für Volatilität und sinkende Kurse an den Aktienmärkten. Der Krieg in der Ukraine kam als weitere Belastung hinzu.
Die Märkte müssen sich auf eine Verknappung der Geldpolitik einstellen. Dies gilt in besonderem Maße für die USA, wo die Fed demnächst mit der quantitativen Verknappung beginnt (also ihre Politik der Anleihekäufe – der quantitativen Lockerung – umkehrt) und die Zinsen anheben wird. Bei ihrer Sitzung am 3. und 4. Mai wird die US-Notenbank zu diesem Thema mehr Klarheit schaffen. Es steht also eine „doppelte“ Verknappung bevor. Das ist so schon einmal geschehen: Von Dezember 2015 bis Dezember 2018 hob die Fed die Zinsen schrittweise an, und von Oktober 2017 bis Juli 2019 führte sie zudem eine quantitative Verknappung durch. Das heißt, von Oktober 2017 bis Dezember 2018 waren beide geldpolitischen Instrumente gleichzeitig aktiv.
Der jetzt bevorstehende Verknappungszyklus könnte ähnlich aussehen, aber bei allen Ähnlichkeiten der beiden Zeitabschnitte gibt es auch grundlegende Unterschiede. Dieses Mal ist die Verknappung wegen der hohen Inflation dringender notwendig, gleichzeitig ist die Liquidität im System deutlich höher als beim letzten Verknappungszyklus. Zudem hat die Fed neue Instrumente, mit denen sie bei Bedarf Liquidität bereitstellen kann, wenn es die Situation erfordert.
Im Segment der Aktien besteht der Unterschied darin, dass die Bewertungen sich nun auf einem höheren Niveau bewegen als es beim letzten Mal der Fall war, sodass auch höhere Kursverluste drohen könnten. Andererseits stehen Haushalte und Unternehmen finanziell deutlich stabiler da, und die Geldmenge wächst nominal immer noch schneller als das BIP. Solange das so ist, erscheint eine neutrale Einstufung von Aktien gerechtfertigt.
Was die aktuelle Berichtssaison betrifft, ist zu erwarten, dass die meisten Unternehmen die Prognosen der Analysten erfüllen oder übertreffen. Zwar wurden die Erwartungen jüngst nach unten korrigiert, aber die Fundamentaldaten der meisten Unternehmen erscheinen sehr stabil – trotz konjunktureller und geopolitischer Schwierigkeiten, höherer Zinsen und Inflation, Schwierigkeiten in den Lieferketten und eines stärkeren US-Dollars.
Auf Unternehmensebene hat Netflix die Märkte vergangene Woche mit enttäuschenden Geschäftszahlen schockiert. Das Unternehmen verzeichnete zum ersten Mal rückläufige Abonnentenzahlen. Die Aktie reagierte mit einem historischen Kursverlust von 35 %. Procter & Gamble, Nestlé und Danone veröffentlichten vergangene Woche positive Zahlen. Die drei Konsumgüterunternehmen verzeichneten ein solides organisches Wachstum. Allerdings warnten alle drei Konzerne vor einer weiter drastisch steigenden Kosteninflation und signalisierten weitere Preiserhöhungen für 2022, um die höheren Kosten zu kompensieren. In der Halbleiterindustrie konnten die Ausrüster ASML und ASMI eine positive Wertentwicklungen verzeichnen. Die Nachfragesituation und der Ausblick sind trotz steigender Kosten und einiger Probleme in den Lieferketten weiterhin gut.
Anleihen: Die Bekämpfung der Inflation
Was die steigenden Inflationserwartungen betrifft, herrscht inzwischen Klarheit. Jetzt dämpfen die Zentralbanken der Industrieländer die Nachfrage, um der steigenden Inflation entgegenzuwirken. Einige zukunftsgerichtete Marktindikatoren, wie zum Beispiel der Verlauf der Renditekurve oder das Verbrauchervertrauen in den USA, signalisieren eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivität.
Doch das Ausgangsniveau der Zinsen ist niedrig, und geldpolitische Maßnahmen wie Zinserhöhungen wirken typischerweise erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Dies bedeutet, dass es einige Zeit dauern könnte, bis ein nennenswerter Rückgang der Nachfrage einsetzt.
Die Geldpolitiker der US-Notenbank Fed signalisieren ihre Absicht zu (re)agieren zwar immer deutlicher, die Marktteilnehmer brauchen jedoch klare Ergebnisse. Lael Brainard, die Vize-Vorsitzende der Fed, eröffnete eine Konferenz jüngst mit einem Zitat des früheren Fed-Chefs Paul Volcker: „Das duale Mandat ist kein Entweder-Oder.“ (Die Federal Reserve verfolgt zwei Ziele, nämlich Preisniveaustabilität und Vollbeschäftigung.) Damit signalisierte Brainard, dass sie kein Problem damit hätte, wenn die Arbeitslosenquote in den USA (die sich derzeit auf einem sehr niedrigen Niveau befindet) wieder steigen würde. Dieser Entwicklung entgegenzusteuern dauert in der Regel mehrere Jahre. Unterdessen steigen die Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen der USA und Deutschlands auf 3 % beziehungsweise 1 %, wenngleich hier aus technischer Sicht vorerst eine Stabilisierung zu erwarten ist.
Die in dieser Woche anstehenden Wirtschaftsdaten, darunter die Entwicklung des Konsums und der Fertigung in den USA sowie der Ifo-Geschäftsklimaindex in Deutschland, werden uns weiteren Aufschluss geben. Letzterer wurde vor wenigen Stunden veröffentlicht und ist im April auf 91,8 Punkte gestiegen, nachdem er im März noch bei 90,8 Zählern lag. Erwartet wurde ein eigentlich ein Rückgang. Somit wurde der Abwärtstrend des Vormonats vorerst gestoppt. Darüber hinaus wird der Fokus auf den BIP-Zahlen der Industrieländer liegen.
In den renditestarken Segmenten unserer Portfolios (Hochzins- und Schwellenmarktanleihen) besteht das größte Risiko darin, wie sehr der Ukraine-Krieg das Wachstum der Weltwirtschaft bremst, die Inflation ankurbelt und Refinanzierungsbedingungen weltweit verschärfen wird. Wir erwarten, dass Schwellenmarktanleihen in harten Währungen künftig eine attraktive risikobereinigte Rendite bieten. Wir sind überzeugt davon, dass Renditen im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich einen mehr als angemessenen Ausgleich für die kurzfristigen Risiken bieten. Längerfristig dürften sich die Märkte normalisieren, und dadurch könnte Potenzial für Kurssteigerungen durch sinkende Risikoaufschläge entstehen (bei Anleihen entwickeln sich Kurs und Rendite/Verzinsung gegenläufig).
In Italien stieg die Benchmark-Rendite im August um 200 Basispunkte auf mehr als 2,50 %, und es spricht aktuell wenig dafür, dass dieser Trend in nächster Zeit nachlassen wird. Dies könnte mehr langfristig orientierte und risikobereite Investoren anlocken – trotz der Bedenken im Hinblick auf die Parlamentswahlen Anfang nächsten Jahres und einer geringeren Unterstützung durch die EZB.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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