
Wochenkommentar: Bringen Zinsen die Rally ins Stottern?
Nach der Rally der Vorwoche ist es an den Finanzmärkten in der vergangenen Woche wieder ruhiger geworden. Unterdessen zeigt der VIX Index, dass die Volatilität dennoch verhältnismäßig hoch bleibt. Die Investoren betrachten das zukünftige Wirtschaftswachstum kritisch.
Zu den negativen Einflussfaktoren zählen hier der anhaltende Druck auf die weltweiten Lieferketten, die fehlende Wachstumsdynamik in China und die extrem hohen Inflationsraten in den USA und in Europa. Da die Europäische Union ein teilweises Importverbot für russisches Erdöl beschlossen hat, könnte der Aufwärtsdruck auf die Ölpreise noch länger bestehen bleiben. Dadurch wächst der Druck auf die Europäische Zentralbank und die US-Fed, die Inflation einzudämmen und gleichzeitig eine Rezession zu verhindern.
Unterdessen neigt sich die Berichtssaison dem Ende zu, wobei der allgemeine Eindruck hierbei recht positiv ist. Den meisten Unternehmen ist es gelungen, höhere Kosten an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzugeben. Doch die hartnäckig hohe Inflation, die restriktivere Geldpolitik der Notenbanken und ein immer noch angespannter US-Arbeitsmarkt könnten das Wachstum der Unternehmensgewinne behindern. In diesem schwierigen Marktumfeld sprechen wir uns weiter für eine neutrale Gewichtung von Aktien aus. In der Auswahl unserer bevorzugten Sektoren und Regionen haben wir nach und nach einige defensive Elemente eingebaut, indem wir den USA den Vorzug vor Europa und den Schwellenländern geben. Zudem bevorzugen wir den Gesundheitssektor sowie Finanzen und Grundstoffe. Nicht gefragt sind bei uns Versorger, Kommunikationsdienstleister und Industrieunternehmen.
Anleihen: Die Inflation gibt den Ton an
Die erhöhte Inflation setzt die Zentralbanken weiterhin unter Druck. In den USA sprach Präsident Joe Biden vergangene Woche mit Fed-Chef Jerome Powell über Möglichkeiten, den schnellen Preisanstieg zu bekämpfen, ohne die Wirtschaft in eine Rezession zu stürzen. Dass dies das erste Treffen war, seitdem Biden Powell erneut für das Amt des Fed-Vorsitzenden nominiert hat, verdeutlicht die Bedeutung dieses Themas.
In der Eurozone stieg die Inflation im Mai den am Dienstag veröffentlichten Zahlen zufolge auf den Rekordwert von 8,1 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist der höchste Stand seit 1997. Auslöser dieser hohen Inflationsraten sind steigende Kosten für Energie und Lebensmittel, was zum Teil auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen ist, die Teuerung sickert aber zunehmend auch auf andere Waren und Dienstleistungen durch.
Die Inflationsdaten erhöhen den Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB), die Zinsen zu erhöhen, denn die Inflationsraten entfernen sich immer weiter vom 2-%-Ziel der Notenbank. EZB-Präsidentin Christine Lagarde signalisierte vergangene Woche, dass im Juli und im September Zinserhöhungen wahrscheinlich sind. Einige Notenbankvertreter sprachen sogar die Möglichkeit an, die Zinsen um 50 statt 25 Basispunkte anzuheben. In den USA sprachen sich Fed-Vertreter für weitere Zinserhöhungen um 50 Basispunkte aus, selbst wenn damit der von der Fed als neutrales Niveau ausgegebene Wert von 2,5 % übertroffen wird. Die Märkte preisen diese Szenarien ein. Dies hat zu schnell fallenden Anleihekursen und steigenden Renditen geführt. Die Rendite auf zehnjährige Bundesanleihen ist nach der Veröffentlichung der Inflationszahlen für Mai gestiegen. Damit werden höherwertige Anleihen je nach konjunkturellem Szenario attraktiver, als sie es lange Zeit waren.
In unserem zentralen Konjunkturszenario rechnen wir nach wie vor damit, dass die Inflation in der Eurozone dieses Jahr wieder nachlässt. Daher haben wir den Anteil qualitativ höherwertiger Anleihen in unserem Rentenportfolio erhöht, indem wir europäische Staatsanleihen mit höheren Zinsen gekauft haben. Unternehmensanleihen haben wir im Gegenzug reduziert (wenngleich sie immer noch übergewichtet sind), um dem unsicheren Umfeld und der restriktiven Geldpolitik der Notenbanken Rechnung zu tragen. Inflationsgesicherte Anleihen befürworten wir nicht, weil die reale Rendite negativ und die Break-Even-Inflationsrate schon hoch ist.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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