
Wochenkommentar: Aktien und Renten gleichermaßen unter Druck
Drei makroökonomische Faktoren haben die Aktienmärkte vergangene Woche erneut unter Druck gesetzt: Erstens schürt Chinas Null-Covid-Strategie die Angst vor einer erheblichen Abkühlung der chinesischen Konjunktur im zweiten Quartal und weiteren Störungen in den Lieferketten. Zweitens preisen die Investoren eine weitere Verknappung der amerikanischen und europäischen Geldpolitik in den kommenden Monaten ein. Drittens erhöht Russlands Entscheidung, die Gaslieferungen an Polen und Bulgarien einzustellen, die Unsicherheit in Europa.
Zusammengenommen haben diese Faktoren die Volatilität erneut in die Höhe getrieben. Amerikanische Aktien, insbesondere die Indizes S&P 500 und Nasdaq, sind auf die Tiefstände von Februar und März gefallen. Der VIX Index, der die Volatilität am amerikanischen Aktienmarkt misst, ist deutlich gestiegen. Seit Jahresbeginn haben die US-Aktienmärkte rund 10 % an Wert verloren, der Nasdaq verzeichnet sogar eine negative Wertentwicklung von 20 %, und auch in Europa und in den Schwellenländern sind die Aktienmärkte um mehr als 10 % gefallen.
Die Berichtssaison konnte den Kursen bislang keine Unterstützung bieten. In den USA haben inzwischen knapp 40 % der im S&P 500 Index notierten Unternehmen ihre Geschäftszahlen vorgelegt. Rund 79 % davon konnten die Gewinnerwartungen übertreffen, und ungefähr 65 % lagen beim Umsatz über den Prognosen. Die Sektoren haben sich dabei sehr unterschiedlich entwickelt: Energie, der nicht-zyklische Konsum und Grundstoffe liegen sowohl beim Gewinn als auch beim Umsatz über den Erwartungen, während der zyklische Konsum, Kommunikation und Finanzen mindestens in einer der beiden Kategorien enttäuschen. In Europa liegt der Anteil der Unternehmen mit einem über den Erwartungen liegenden Gewinn mit rund 60 % etwas niedriger, aber die Sektorentwicklungen gestalten sich ähnlich wie in den USA.
Anleihen: Negative Renditen sind Geschichte
Für Anleiheinvestoren war 2022 bislang ein unbefriedigendes Jahr, denn selbst hochwertige Anleihen verloren 5 % oder mehr von ihrem Kurswert. Abgesehen von einer kurzen Unterbrechung direkt nach Russlands Einmarsch in die Ukraine sind die Renditen sowohl in den USA als auch in Europa sehr stark gestiegen.
In Europa spiegelt dies deutlich stärker als in den USA höhere Inflationserwartungen wider, denn während sich die amerikanische Fed entschlossen zeigt, die Teuerung zu bekämpfen, agiert die Europäische Zentralbank (EZB) zögerlich. Unabhängig von den aktuell hohen Energiepreisen wird eine auch bis in die zweite Hälfte des Jahrzehnts erhöhte Inflation erwartet. Inzwischen betrachten immer mehr Mitglieder des EZB-Rates eine Anhebung der Zinsen über null noch in diesem Jahr als wahrscheinlich.
Die Investoren haben die aggressiven Zinserhöhungen, die wir von den Zentralbanken bis 2023 erwarten, inzwischen vollständig eingepreist. Die Risiken erscheinen jetzt ausgewogener, während die EZB zögert der Fed zu folgen, da sich die beiden Zentralbanken in verschiedenen Situationen befinden. In den USA droht eher eine Überhitzung der Konjunktur, während in Europa exogene Faktoren für die Inflation verantwortlich sind. Die Renditen dürften sich auf dem aktuellen Niveau seitwärts bewegen und könnten sogar einen Teil des jüngsten Anstiegs wieder rückgängig machen, was nach Jahren negativer Renditen eine gute Kaufgelegenheit darstellen könnte.
Viele Investoren zögerten seit Langem, „sichere“ Anleihen mit einem geringen Ausfallrisiko zu kaufen, weil die Renditen immer weiter in den negativen Bereich gefallen sind. Nicht nur die Rendite auf zehnjährige Bundesanleihen liegt wieder deutlich im positiven Bereich, auch die Verzinsung von zweijährigen Bundesschatzanweisungen ist erstmals seit 2014 wieder positiv. Anleiheinvestoren sind nicht mehr auf Laufzeiten jenseits der zehn Jahre oder Ratings von BBB oder schlechter angewiesen, um eine positive Rendite zu erzielen.
Anleger können daher beginnen, das Ausfallrisiko ihrer Investitionen wieder zu reduzieren. Dabei müssen die Investoren im Blick behalten, dass die Notenbanken nach jahrelangen Kaufprogrammen schon bald keine Unternehmensanleihen mehr erwerben werden und Rezessionsrisiken auch in Europa bevorstehen könnten. Französische Staatsanleihen, die eine bis zu 0,5 % höhere Verzinsung als deutsche Staatsanleihen bieten, könnten eine attraktive Alternative darstellen, insbesondere angesichts der Wiederwahl von Emmanuel Macron als französischer Präsident.
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