
Wochenkommentar: Aktien tendieren entlang der „Wall of Worry“ nach oben
Nach der Trendumkehr im Juli bleiben die Aktienmärkte vorerst optimistisch gestimmt. Dies lag vor allem daran, dass die US-Inflation etwas niedriger ausfiel als im Juni. Die Investoren werteten dies als Anzeichen dafür, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben und die Geldpolitik der Fed etwas weniger restriktiv werden könnte. In der Folge gingen die Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen nach unten, was die Bewertungen von Aktien, insbesondere Wachstumsaktien, unterstützte.
Die Berichtssaison für das zweite Quartal ist in vollem Gange, und im Allgemeinen sind die Geschäftszahlen recht gut. Alles in allem haben die Unternehmen bislang sogar die Erwartungen übertroffen; dies gilt insbesondere für die Umsatzerlöse, in geringerem Maße aber auch für die Gewinne. Dass die Überraschung bei den Gewinnen geringer war, liegt daran, dass es in bestimmten Sektoren Anzeichen für Margendruck aufgrund von steigenden Einkaufspreisen gibt.
Doch vor uns liegen durchaus potenzielle Schwierigkeiten. Jetzt, wo sich die Inflation allmählich in den Geldbörsen der Verbraucher bemerkbar macht, könnte die Entwicklung der Konsumnachfrage in den kommenden Quartalen schwächer ausfallen. Mehrere Halbleiterhersteller, die Entwicklungen häufig vorwegnehmen, signalisierten vergangene Woche, dass sie von einer nachlassenden Nachfragedynamik ausgehen. Dies könnte zu einem geringeren Umsatzwachstum und eventuell zu Angebotsüberhängen führen, was die Margen unter Druck setzt. Dennoch war die Abwärtsvolatilität bei Halbleiteraktien nur von kurzer Dauer, weil die bereits genannten Inflationszahlen und die daraus folgenden niedrigeren Zinsen die Bewertungen unterstützten.
Da es für Investoren nach wie vor viele Unwägbarkeiten gibt, dürften die Märkte nervös bleiben. Letztlich müssen die Marktteilnehmer mit einem relativ neuen Phänomen zurechtkommen: Inflation und geldpolitische Verknappung in einem Umfeld mit schleichender Rezession und geopolitischen Spannungen. Eine der zentralen Fragen ist, wie tiefgreifend und wie anhaltend die Konjunkturschwäche sein wird und in welchem Maße sie an den Märkten bereits eingepreist ist. Die Bären fürchten eine schwere Rezession, während die Bullen an der sogenannten „Wall of Worry“ entlang die Kurse nach oben treiben.
Anleihen: Abwartende Haltung
Die Maßnahmen und geldpolitische Kommunikation der US-Fed haben seit Anfang des Jahres zu einer deutlichen Erhöhung der realen (also inflationsbereinigten) Zinsen auf Staatsanleihen geführt. In der Folge sind die Fremdkapitalkosten für Verbraucher und Unternehmen gestiegen, was zu einem drastischen Anstieg der Renditeaufschläge auf risikobehaftete Papiere geführt hat. Sowohl Unternehmensanleihen mit Investment-Grade- und Hochzinseinstufung als auch Schwellenmarktanleihen (die besonders belastet waren) haben sich jüngst in gewissem Maße von überzogenen Niveaus erholt.
Die bevorstehenden US-Zahlen zur Industrieproduktion (Dienstag) und zu den Einzelhandelsumsätzen (Mittwoch) können mehr Aufschluss über die weitere Entwicklung der Risikoprämien geben. Aktuell scheint sowohl bei der Fed als auch bei den Marktteilnehmern die Meinung vorzuherrschen, dass eine weitere geldpolitische Verknappung bis zum Jahresende ausreicht, um die Inflation relativ schnell wieder auf die Zielmarke zu drücken. Doch die Investoren haben womöglich vergessen, dass das Tempo der quantitativen Verknappung in den USA im nächsten Monat anzieht: Dann erreicht die Fed bei den monatlichen Wertpapierverkaufserlösen, die nicht reinvestiert werden, die Obergrenze von USD 95 Mrd. Dadurch könnten die Zinsen in den USA real (inflationsbereinigt) weiter steigen.
Das zweite Highlight der kommenden Woche ist die Veröffentlichung des Sitzungsprotokolls der Fed. Davon versprechen sich die Investoren mehr Aufschluss über den Inflationsausblick, da ein erhebliches Risiko besteht, dass die hohe Inflation länger bestehen bleibt. Deshalb könnten die Kosten der Inflationsbekämpfung höher ausfallen als erwartet. In der Folge bleibt der Renditeabstand zwischen zehn- und zweijährigen US-Staatsanleihen aufgrund der invertierten Renditekurve tief im negativen Bereich.
Vor dem Hintergrund von Anzeichen für eine geringe Marktliquidität und einer schnelleren geldpolitischen Verknappung könnte Italien, das Problemkind der Eurozone, die Bereitschaft der Europäischen Zentralbank testen, die Risikoprämien unter bestimmten Umständen „einzudämmen“. Dementsprechend dürften auch die Renditen auf deutsche Staatsanleihen nach oben begrenzt sein. Unsere direkte Italien-Allokation ist im Vergleich zu unserer Benchmark neutral bis leicht übergewichtet.
Der vollständige Marktbericht steht unseren Kunden wöchentlich zur Verfügung.
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