Javascript is required
 

Marktkommentar: US-Wahlen in Zeiten von Corona

Wochenkommentar: US-Märkte steigen auf Vor-Corona-Niveau

Der US-Wahlkampf ist lang, und seit das Rennen um die US-Präsidentschaft im April richtig begann – als der gemäßigte Demokrat Joe Biden sich als Gegenkandidat von Amtsinhaber Donald Trump herauskristallisierte – haben die USA unruhige Zeiten erlebt. Doch einer der stärksten Einflussfaktoren auf die Wahl kam mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie schon viel früher zum Tragen. Die Auswirkungen von Covid-19 auf die Wähler, die Wirtschaft und das Klima an den Finanzmärkten sind massiv und werden auch 2021 eines der beherrschenden Themen bleiben.

Noch größere Bedeutung erlangte das Virus für den US-Präsidentschaftswahlkampf, als bekannt wurde, dass Donald Trump und viele seiner Mitarbeiter im Weißen Haus sich in den vergangenen Wochen mit dem Coronavirus infiziert hatten. Diese Entwicklung hat sowohl die Unsicherheit im Hinblick auf den Wahlausgang erhöht, als auch Zweifel an der Effektivität der Regierungsstrategie im Kampf gegen das Virus genährt. Das Tauziehen um ein weiteres Konjunkturpaket sorgt parallel dazu für eine Achterbahnfahrt an den Märkten. Das zähe Ringen zeigt, dass auf beiden Seiten grundsätzlich die Bereitschaft zu weiteren Hilfsmaßnahmen besteht, und Donald Trump realisiert durchaus, dass ein solches Hilfspaket seine Chancen auf Wiederwahl erhöhen könnte. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass ein großes oder eher abgespecktes Konjunkturpaket noch vor dem 3. November verabschiedet wird, ein genauer Termin steht dafür jedoch nicht fest, und diese Unsicherheit wird die Märkte aller Wahrscheinlichkeit nach weiter belasten. Auch wenn durch diese Verzögerungen das Risiko einer nur langsamen Erholung steigt, sehen wir diese dadurch nicht grundsätzlich gefährdet.


Status quo

Wahltag ist in den USA der 3. November, aber in vielen US-Bundesstaaten hat die Stimmabgabe bereits begonnen. Wegen Corona ist auch die Zahl der Briefwähler sprunghaft angestiegen. Damit könnte ein Wahlergebnis erst verspätet feststehen, was für eine Phase erhöhter Marktunsicherheit sorgen könnte. Der mit 10 % mittlerweile deutliche Vorsprung von Joe Biden in den Umfragen macht jedoch einen knappen Wahlausgang weniger wahrscheinlich und dämpft damit entsprechende Befürchtungen.


Biden vorne

Auf Basis der neuesten Umfrageergebnisse gehen wir davon aus, dass Joe Biden die US-Präsidentschaftswahlen gegen Donald Trump gewinnen wird. Es gilt auch als sehr wahrscheinlich, dass die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten werden. Überraschend ist jedoch, dass eine „blaue Welle“ immer wahrscheinlicher wird, die Demokraten also auch die Mehrheit im US-Senat erobern können und damit nicht nur den Präsidenten stellen, sondern auch den Kongress dominieren.

Die Demokraten haben traditionell den Ruf, ausgabenfreudiger zu sein, während die Republikaner als haushaltspolitisch konservativ gelten. Die Eckpunkte des Wahlprogramms von Joe Biden passen in dieses Bild. Sein „Build Back Better“-Plan sieht Investitionen in erneuerbare Energien in einer Größenordnung von USD 2 Bio. über einen Zeitraum von vier Jahren sowie Infrastrukturinvestitionen in einem Volumen von USD 1,2 Bio. über einen Zeitraum von zehn Jahren vor. Finanziert werden sollen diese Ausgabensteigerungen durch Rücknahme einiger Steuersenkungen der Trump-Regierung. Biden will den Körperschaftsteuersatz für US-Unternehmen auf 28 % erhöhen, nachdem dieser unter der Regierung von Donald Trump 2017 von 35 % auf 21 % gesenkt worden war. Wenn die Demokraten den Senat zurückgewinnen, sind diese von Biden geplante Steuererhöhung und andere Gesetzesvorhaben leichter umzusetzen.


Biden ist ein Befürworter von grüner Energie

Joe Biden steht für einen wesentlich umweltfreundlicheren Kurs als Donald Trump und will dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beitreten. Bestandteil seines Wahlprogramms ist auch ein „Green New Deal“ mit dem langfristigen Ziel, bis 2050 eine zu 100 % mit sauberer Energie arbeitende Wirtschaft und Klimaneutralität zu erreichen. Sein Wahlprogramm sieht im Energiebereich eine lange Liste klimafreundlicher Projekte wie Windenergie, Elektrofahrzeuge, intelligentes Bauen und emissionsarme Produktionsstätten vor. Das Infrastrukturprogramm des demokratischen Kandidaten umfasst nicht nur Straßen und Brücken, sondern auch Wassersysteme, Stromnetze und den Breitbandausbau. Eine Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses würde die Umsetzung dieses Programms wesentlich erleichtern.


Normalisierung der Handelsbeziehungen

In der Außenpolitik ist unter einem US-Präsidenten Joe Biden mit einer Normalisierung der Beziehungen zu Verbündeten und Rivalen auf dem internationalen Parkett zu rechnen. Biden ist für einen harten Kurs gegenüber China bekannt, eine Regierung unter seiner Führung wird jedoch wahrscheinlich auf internationale Zusammenarbeit zur Förderung der Eigeninteressen der USA sowie der Interessen der Weltgemeinschaft setzen. Die Politik der Alleingänge von Donald Trump und seine dominante „America First“-Attitüde hätten damit ein Ende. Doch auch unter einem US-Präsidenten Joe Biden wird sich der Graben zwischen den USA und China weiter vertiefen.


Was Anleger wissen sollten

Der neue US-Präsident wird am 20. Januar seine vierjährige Amtszeit antreten. Wir rechnen mit Phasen erhöhter Volatilität und Unsicherheit an den Märkten, nicht nur in Zusammenhang mit der politischen Entwicklung, sondern auch aufgrund des Infektionsgeschehens, regionaler Lockdowns und des Nachrichtenflusses zur Impfstoffentwicklung. Es ist nach wie vor Vorsicht geboten, aber es finden sich eindeutige Belege für eine Verbesserung der Lage. Voraussichtlich ab dem zweiten Quartal 2021 soll die Wirtschaft sowohl in der Eurozone (3,6 %) als auch in USA (3,4 %) wieder wachsen.

Vorerst bleiben wir bei unserer Empfehlung einer leichten Untergewichtung von Aktien. Regional geben wir weiterhin den USA den Vorzug. Die US-Notenbank unterstützt die Wirtschaft mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, und der US-Kongress wird letztlich ein weiteres Hilfspaket auf den Weg bringen und damit ein positives Umfeld für den US-Aktienmarkt schaffen. Dies alles vollzieht sich vor dem Hintergrund sehr niedriger Zinsen, die in den USA vor 2023 nicht wieder erhöht werden dürften. Die Staatshilfen werden Lockdown und Arbeitslosigkeit für Verbraucher und Unternehmen abfedern. Ein Präsident Joe Biden und eine Normalisierung der Außenpolitik und der Handelsbeziehungen könnten auch positive Auswirkungen auf die europäischen Märkte haben.

Wir favorisieren den Gesundheitssektor, wo die Impfstoffentwicklung für positive Stimmung sorgt, und stehen dem Finanzsektor negativ gegenüber, der weiterhin mit dem Niedrigzinsumfeld und Verlusten im Kreditgeschäft wegen zunehmender Zahlungsausfälle zu kämpfen haben wird. Die Finanzbranche und der IT-Sektor könnten sich unter einer Regierung Joe Biden auch größerem Regulierungsdruck ausgesetzt sehen.

Thematische Investments in den Bereichen Energiespeicherung, erneuerbare Energien und neue Energietechnologien dürften alle vom Green New Deal einer Biden-Administration profitieren. Wir gehen außerdem davon aus, dass wettbewerbsfähige internationale Unternehmen in der Lage sein werden, die Kosten im Zusammenhang mit einer höheren Steuerbelastung in den USA zu tragen oder an ihre Kunden weiterzugeben.

Wir befinden uns auf der Zielgeraden eines Jahres voller Überraschungen und Aufregung. Über den Ausgang der US-Wahlen ist monatelang viel spekuliert worden. Kurz vor den Wahlen sind wir jetzt zuversichtlich, dass ein Wahlsieg von Joe Biden die Finanzmärkte beruhigen würde und eine blaue Welle tatsächlich mehr Sicherheit für Anleger bringen könnte. Außerdem wird auf absehbare Zeit ein Impfstoff zur Verfügung stehen, und allein deswegen wird 2021 schon ein besseres Jahr werden.


Reinhard Pfingsten,

Chief Investment Officer, Bethmann Bank


Frankfurt am Main, 19. Oktober 2020