
Russlands Einmarsch in die Ukraine belastet die Finanzmärkte
Am Mittwochabend kündigte Russlands Präsident Putin militärische Maßnahmen gegen die Ukraine an und startete in den darauffolgenden Stunden eine Offensive.
Als erste Reaktion verzeichneten die Finanzmärkte eine Flucht in sichere Anlagen. Die europäischen Aktienmärkte gaben am Donnerstag stark nach, während die Kurse von Staatsanleihen aufgrund sinkender Renditen zulegten. Vermögenswerte wie Gold und der US-Dollar, die als „sichere Häfen“ gelten, verzeichneten Kursgewinne. Der Preis für die Erdöl-Sorte Brent überschritt zum ersten Mal seit 2014 die Marke von 100 US-Dollar. Auch Kryptowährungen gaben deutlich nach.
Welches Ziel verfolgt Russland?
Nach eigenen Angaben sei Russlands erklärtes Ziel, die Ukraine zu entmilitarisieren und die jetzige Regierung zu ersetzen. Vorerst bleibt unklar, ob der Einmarsch in die gesamte Ukraine geplant ist. Die Geheimdienste der NATO-Verbündeten gehen jedoch davon aus. Westliche Staatsoberhäupter und Mitglieder des UN-Sicherheitsrats verurteilten den Angriff. In den letzten Stunden wurden von den USA und der EU mehrere Sanktionsschritte gegen Russlands Wirtschaft, Finanzinstitute und Einzelpersonen auf den Weg gebracht. Die Härte dieser Sanktionen und die Reaktionen Russlands werden einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie sich die Situation an den Kapitalmärkten weiter entwickelt.
Wie reagieren die Finanzmärkte und die Wirtschaft auf geopolitische Konflikte?
Anleger ziehen es im Allgemeinen vor, Unsicherheiten zu vermeiden. Jedoch bringt ein geopolitischer oder militärischer Konflikt genau das mit sich. Analysiert man frühere militärische Konflikte, so reagieren die Aktienmärkte typischerweise mit Kursverlusten – möglicherweise für einige Tage oder sogar Wochen. Allerdings erholen sich die Aktienmärkte in der Regel auch schnell wieder, sobald Klarheit über die Entwicklung des Konflikts herrscht. In der Folge besinnt sich der Markt – nach einem ersten Schock – oftmals zügig zurück auf die Fundamentaldaten.
Wir gehen davon aus, dass die makroökonomischen Auswirkungen der russischen Maßnahmen vor allem im Energiemarkt über höhere Energiepreise (Öl und Gas) zu spüren sein werden. Europa reagiert darauf empfindlicher als andere Regionen, da Russland einer der wichtigsten Energielieferanten des Kontinents ist und nur begrenzt ersetzt werden kann. Daneben ist Russland ein wichtiger Lieferant weiterer Rohstoffe, deren wirtschaftliche Auswirkungen jedoch im Vergleich zu Öl und Gas wesentlich geringer sein werden.
Aufgrund der Ukraine-Krise steigt die Wahrscheinlichkeit eines potenziellen Rückgangs des Anlegervertrauens und der Möglichkeit einer Stagflation oder sogar eines Rezessionsszenarios in Europa – insbesondere, wenn der Krieg länger andauert als bislang vermutet. Die Auswirkungen auf den Rest der Welt könnten jedoch weitgehend begrenzt sein. In den kommenden Wochen wird es wichtig sein, die Reaktionen der Zentralbanken, etwaige Änderungen ihrer Wirtschaftsprognosen und ihrer Geldpolitik zu beobachten.
Die Volkswirtschaften Russlands und der Ukraine sind relativ kleine Teilnehmer der Weltwirtschaft. Ihr Niedergang wird nur sehr begrenzte Auswirkungen auf das globale Wachstum haben. Höhere Energiepreise können jedoch Produzenten und Verbraucher schmerzhaft treffen. Glücklicherweise sind die Bilanzen von Unternehmen und Verbrauchern aufgrund der Konjunkturmaßnahmen, die zum Ausgleich der Coronapandemie ergriffen wurden, relativ solide.
Was empfehlen wir den Anlegern?
In der vergangenen Woche beschloss das globale Investmentkomitee der ABN AMRO und der Bethmann Bank, Aktienpositionen auf neutral zu reduzieren, eine defensivere Sektorallokation vorzunehmen und eine Untergewichtung in Anleihen beizubehalten. Wir haben außerdem beschlossen, unsere Übergewichtung in den Sektoren Grundstoffe, Finanzwerte und Gesundheitswesen beizubehalten. Außerdem überwachen wir unsere Portfoliobestände genau im Hinblick auf Engagements in der Ukraine oder Russland. Unsere Entscheidung zur Reduktion der Aktiengewichtung war hauptsächlich durch die hohe Inflation und die bevorstehende Straffung der Geldpolitik bedingt. Obwohl wir den Ukraine-Konflikt beobachteten, haben wir nicht mit einer so schnellen Eskalation gerechnet.
Neben den genannten Beschlüssen empfehlen wir vorerst keine übereilten Handlungen. Es gibt noch zu viele Unbekannte, und es ist in der Regel nicht vorteilhaft, in volatile Märkte hinein überstürzt zu handeln. Die Geschichte zeigt auch, dass sich die Finanzmärkte schnell erholen können, sobald sich ein Konflikt gelegt hat. Wir werden die Situation weiter beobachten und bei Bedarf Maßnahmen ergreifen.
Vor allem sind wir in Gedanken bei den Menschen in der Ukraine.
Reinhard Pfingsten
Chief Investment Officer