
Q&A Russland-Ukraine: Auswirkungen auf die Finanzmärkte
Vergangene Woche ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Seitdem sind wir alle Zeugen schrecklicher Ereignisse geworden. Am Wochenende eskalierte die Situation mit neuen russischen Drohungen und westlichen Sanktionen. Die Situation sorgt für große Unsicherheit. Wir haben versucht, auf der Grundlage des aktuellen Sachstands etwaige Fragen von Anlegern zu beantworten.
1) Welche Auswirkungen haben die Sanktionen auf die Finanzmärkte?
Inzwischen wurden mehrere Sanktionen beschlossen. Anfangs schien es, als würden sich die Europäische Union (EU) und die USA nur auf das private und finanzielle Umfeld von Putin und den Oligarchen konzentrieren. Mit der weiteren militärischen Eskalation wurden jedoch auch Handels- und Finanzsanktionen verhängt, die sich unmittelbar auf die Preise und die Wirtschaftstätigkeit auswirken. Die Preise für Öl, Gas, Palladium und Weizen stiegen am Montagmorgen sprunghaft an und führten zu einem Preisschock, der Inflation und eine Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit auch im Westen zur Folge haben kann – vor allem, wenn der Krieg länger andauert oder sogar weiter eskaliert. Solange der Preisschock ein eher kurzfristiges Ereignis ist, sollten die Märkte und die Wirtschaft in der Lage sein, ihn zu bewältigen. Darüber hinaus wird es fiskalische Anreize und geldpolitische Unterstützung geben, um die Auswirkungen dieses Preisschocks zu verringern (siehe Frage 4).
Die neuen Handels- und Finanzsanktionen werden in Russland selbst zu finanzieller Instabilität führen, da der russische Rubel an Wert verliert und zu einem Bank-Run führen könnte – Anleger könnten auf einmal sämtliche Barreserven bei den Banken abziehen und damit die Banken in eine Schieflage bringen. Auch die Swift-Sanktion, die Geldüberweisungen zwischen russischen Banken und Finanzinstituten in anderen Ländern blockiert, hat direkte Auswirkungen auf Russland. Da die EU-Ausfuhren nach Russland nur einen geringen Teil der gesamten Ausfuhren ausmachen, sind die direkten wirtschaftlichen Auswirkungen in der EU begrenzt.
Allerdings steigt das Risiko eines Angebotsschocks, falls Russland eine Blockade der Rohstoffexporte beschließt – entweder als Reaktion auf die Sanktionen oder weil Zahlungen aufgrund der Swift-Sanktionen nicht abgewickelt werden können. Um Letzteres zu vermeiden, sind nicht alle russischen Banken blockiert.
Historisch gesehen hatten Kriege immer nur begrenzte Auswirkungen auf die Aktienmärkte, selbst Kriege mit direkten Auswirkungen auf die Ölpreise. Seit 1945 war die Marktreaktion nach einem Monat im Durchschnitt flach. Eine Ausnahme war der Golfkrieg im Jahr 1990, infolge dessen der S&P 500 um 8 % zurückging.
2) Investieren diskretionäre Portfolios in russische oder ukrainische Anleihen? Wie wirkt sich das auf diese Anleihen aus?
Innerhalb der diskretionären Portfolios investieren wir nicht direkt in russische oder ukrainische Anleihen. Es besteht jedoch ein begrenztes indirektes Engagement über Investmentfonds, da Russland und die Ukraine Teil des Emerging Markets Bond Index sind. Das Engagement ist auf ca. 0,2 % bis 0,3 % des Gesamtportfolios begrenzt und entspricht damit dem Gewicht in der Benchmark.
Die Ukraine hat in der Vergangenheit ein Unterstützungspaket vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU erhalten. Wir gehen davon aus, dass diese Unterstützung bestehen bleiben wird. Der russische Anleihemarkt wird mit den neuen Sanktionen gegen die russische Zentralbank und der Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit auf den Status „Non-Investment-Grade" (Junk) durch die Ratingagentur Standard & Poors mit einer neuen Realität konfrontiert.
Auch wenn es noch zu früh ist, um solide Aussagen zu treffen, ist klar, dass diese Investitionen jetzt voll gefährdet sind, da die Zukunft der Ukraine und die Bereitschaft und Fähigkeit Russlands zur Rückzahlung jeglicher Schulden auf dem Spiel stehen.
3) Welche Sektoren sind am stärksten betroffen, und wie lautet unsere Empfehlung für die Sektorpositionierung?
Diese geopolitische Krise ist schwierig für die zyklischen Sektoren. Sie könnte, wenn auch nur vorübergehend, eine Konjunkturabschwächung – insbesondere in Europa – und einen Preisschock durch den Anstieg der Rohstoffpreise auslösen. Wir gehen davon aus, dass auch die US-Wirtschaft von dem Preisschock betroffen sein wird, insbesondere wenn er länger andauert, allerdings dürften die Auswirkungen geringer sein als in Europa. Die Banken könnten kurzfristig unterdurchschnittlich abschneiden, da die risikoaversen Bedingungen für diesen Sektor generell negativ sind.
Andererseits glauben wir, dass defensive Sektoren wie Basiskonsumgüter oder das Gesundheitswesen überdurchschnittlich abschneiden werden, da die Anleger auf die Stabilität der Erträge achten. Der Energiesektor könnte aufgrund eines Anstiegs der Energiepreise eine Outperformance erzielen. Allerdings könnte dieser Sektor auch Risiken ausgesetzt sein, die aufgrund der westlichen Sanktionen gegen Russland zunehmen. Unternehmen, die in Russland engagiert sind, werden voraussichtlich schlechter abschneiden als ihre Mitbewerber.
In den vergangenen Wochen haben wir unsere Sektorallokation geändert. Sie ist defensiver geworden, da wir die Sektoren Energie und Basiskonsumgüter auf neutral aufgestockt und die Sektoren Industrie auf untergewichtet und zyklische Konsumgüter auf neutral reduziert haben. Vorläufig halten wir an unserer Übergewichtung im Finanzsektor fest, da wir davon ausgehen, dass es bei einer Deeskalation zu einer Erholungsrally kommen könnte.
4) Wie wird sich das auf die Zentralbankpolitik auswirken?
Alle großen Zentralbanken, insbesondere die US-Notenbank, waren angesichts der hohen Inflation und des starken Wachstums auf dem Weg zu Zinserhöhungen. Ein Preisschock mit dem starken Anstieg der Öl- und Gaspreise könnte zu einem Rückgang der Wirtschaftstätigkeit führen und gleichzeitig die Inflation noch weiter in die Höhe treiben als ohnehin schon. Noch schlimmer wäre ein Angebotsschock, der dadurch ausgelöst werden könnte, dass Russland die Exporte in den Westen blockiert. Dies wäre vor allem für Europa, das von russischen Energieimporten abhängig ist, ein Problem. In beiden Fällen würde das Wirtschaftswachstum leiden – sogar eine Rezession wäre möglich –, die Inflation würde überschießen und auf hohem Niveau bleiben. Dies könnte zu Stagflation führen, die durch langsames Wachstum und hohe Inflation gekennzeichnet ist.
In einem solchen Stagflationsszenario kann die Europäische Zentralbank (EZB) nicht viel machen. Steigende Zinsen würden das Wirtschaftswachstum noch weiter nach unten ziehen und würden einen externen Angebotsschock nicht abfedern. Es ist daher wahrscheinlicher, dass die EZB sich auf den Wachstumsaspekt konzentrieren wird, da ein Preisschock nach einiger Zeit abklingen wird. Auch eine schwächere Nachfrage wird den Inflationsdruck verringern. In der aktuellen Situation könnte dies bedeuten, dass die EZB ihre Geldpolitik nicht mehr normalisiert, sondern expansiv bleibt. Eine andere Möglichkeit ist ein gemeinsames Vorgehen von Fiskal- und Geldpolitik, wie wir es nach dem Ausbruch der Pandemie gesehen haben. Die Regierungen könnten die Steuern auf Energie senken oder Stützungsmaßnahmen ergreifen, um den inflationären Effekt abzumildern.
In den USA stellt sich die Situation anders dar: Solange der Krieg keine schwerwiegenden Auswirkungen auf das globale und US-amerikanische Wachstum hat, gehen wir nicht davon aus, dass die Fed ihre Politik ändern wird. Wir rechnen nach wie vor mit mehreren Zinserhöhungen in diesem Jahr und dem Beginn des Abbaus der Zentralbankbilanz. Die Inflation in den USA wird aktuell stärker durch die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt bestimmt. Solange das Wirtschaftswachstum nicht ernsthaft beeinträchtigt wird, gehen wir davon aus, dass die Fed ihren derzeitigen Kurs beibehalten wird.
5) Die europäische Wirtschaft wird angesichts der hohen Abhängigkeit von russischem Gas am stärksten betroffen sein. Sollten wir die Allokation in europäischen Aktien nicht reduzieren?
Die europäische Wirtschaft ist eindeutig stärker als zum Beispiel die US-Wirtschaft von dem russisch-ukrainischen Konflikt betroffen. Kurzfristig wird sich das Wirtschaftswachstum in den europäischen Ländern aufgrund des vorübergehenden Vertrauensschocks und eines Anstiegs der Energiepreise verlangsamen, wovon vor allem Länder betroffen sind, die von Gas- und Ölimporten abhängig sind.
Auf der anderen Seite sehen wir hohe Staatsausgaben: beispielsweise steuerliche Anreize für den Bau neuer Energieinfrastrukturen, um die Unabhängigkeit Europas von russischem Öl und Gas zu erhöhen; und eine Verstärkung der militärischen Kapazitäten, wie sie zum Beispiel von der deutschen Regierung angekündigt wurde. Außerdem könnte die EZB ihren Plan, die geldpolitischen Bedingungen zu straffen, gegebenenfalls verschieben.
Da die regionale Aufteilung immer relativ ist, ziehen wir es vor, unsere neutrale Haltung gegenüber Europa vorerst beizubehalten. Die EU ist mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 14 in der Bewertung attraktiver als der US-Markt mit einem Verhältnis von 20. Außerdem sind die USA stärker vom Wachstum abhängig und könnten unter der Straffung der Fed in den kommenden Quartalen leiden.
Wir möchten die Anleger darauf hinweisen, dass es in diesen Zeiten sinnvoll ist, global zu diversifizieren und zu investieren und die Volatilität im Blick zu behalten. Vorerst erwarten wir, dass die Volatilität während des Eskalationsprozesses hoch bleiben wird. Wir werden alle Positionen im Hinblick auf die Auswirkungen des Krieges, die Auswirkungen der Sanktionen und den Preisschock genau beobachten.
Reinhard Pfingsten
Chief Investment Officer