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Wochenkommentar: Inflationserwartung steigt weiter an

Marktkommentar: „Survive until 25!“ – Immobilienakteure unter Anpassungsdruck

„Survive until 25!“ – Dieser 2023 in der Immobilienbranche vielfach zitierte Slogan bringt die aktuelle Situation vieler Marktteilnehmer auf den Punkt: Wie gelingt nach einem langen Boom die Anpassung an ein stark verändertes Umfeld? Corona, gestiegene Baukosten, Ukrainekrieg, Klimaschutzauflagen, instabile Förderkulisse – jede einzelne Komponente schon eine Herausforderung. In Kombination mit einem unerwartet dynamischen Zinsanstieg führen sie insbesondere für Projektentwickler und Bauträger zum Überlebenskampf. Doch aus Sicht von Investoren ist die Lage nicht so schlecht, wie es die Nachrichten suggerieren.

Vermutlich kennt kaum eine andere Branche derart langwierige und komplexe Entwicklungsprozesse wie die Immobilienbranche. Grundstücksakquisition, Planung und Baurechtschaffung, Errichtung, Vermietung und Vermarktung von Gebäuden dauern von der ersten Idee bis zur Realisierung häufig mehrere Jahre. Und dann ist das Endprodukt meist ein Unikat – beim nächsten Objekt geht der Prozess von vorne los! Naturgemäß benötigt ein solches Geschäftsmodell stabile Rahmenbedingungen. Massiv steigende Baukosten (2020 – 2023 ca. +40 Prozent) oder plötzlich sinkende Verkaufspreise infolge des dynamisch gestiegenen Zinsniveaus sind Gift für jeden Businessplan. Beides zusammen kann eine nicht zu verkraftende „Überdosis“ bedeuten, wie spektakuläre Insolvenzen großer, bundesweit agierender Projektentwickler dokumentieren.

Dabei ist weniger das im historischen Vergleich immer noch moderate Zinsniveau ein Problem, als vielmehr die vorherige Verzerrung durch ein extrem niedriges Zinsniveau. Optimistische Erlöserwartungen und aggressive Finanzierungsstrukturen ließen die Fallhöhe steigen. Entsprechend schmerzhaft ist der Korrektur- und Anpassungsprozess an etwas, das man zuvor als „Normalität“ bezeichnet hat. So ist das Transaktionsvolumen am Immobilienmarkt 2023 massiv eingebrochen. Gerade bei Neubau-Wohnungen waren Umsatzrückgänge von mehr als 80 Prozent zu beobachten. Viele private Kaufinteressenten konnten oder wollten sich die Wohnungen zu den aufgerufenen Preisen und Zinsen nicht mehr leisten. Aber auch das institutionelle Investment ging um ca. 70 Prozent zurück. Die Investoren blieben angesichts wieder verfügbarer Anlagealternativen am Kapitalmarkt und dem Stimmungsumschwung an den Immobilienmärkten lieber an der Seitenlinie. 

Auch wenn durch das geringe Transaktionsvolumen die Evidenz noch schwach ist, zeichnet sich eine zügige und signifikante Preiskorrektur ab. Fällt diese im Bereich von Eigentumswohnungen mit ca. 10 Prozent bisher noch vergleichsweise moderat aus, dürfte der Preisrückgang bei Investmentobjekten (einschließlich Mehrfamilienhäusern) aktuell eher bei 30 Prozent liegen. Bestandshalter können dies in der Regel als „verpasste Chance“ abhaken, für viele Neubauvorhaben bedeutet ein derartiger Marktumschwung jedoch das wirtschaftliche Aus. Die Rechnung geht schlicht nicht mehr auf.

Hiervon sind nicht nur Projektentwickler und Bauträger betroffen, sondern auch deren Geschäftspartner wie Architekten, Fachplaner, Bauunternehmen, Handwerker – und nicht zuletzt auch die Kapitalgeber. Den im Boom reichlich sprudelnden Kapitalquellen wie Mezzanine-Fonds und Kreditgebern jenseits des klassischen Bankensektors drohen erhebliche Abschreibungen, das Neugeschäft der Banken kam praktisch zum Erliegen. 

Dieser Anpassungsprozess schlägt Wellen, auch über die Immobilienwirtschaft hinaus. So klagt die Bauindustrie im Hochbau über Auftragsstorni und -mangel mit der Gefahr, dass für die Zukunft dringend benötigte Kapazitäten verlorengehen. Dies birgt gesellschaftlichen Sprengstoff. Bei rückläufigen Fertigstellungszahlen und sinkenden Baugenehmigungen ist eine Entspannung auf den Wohnungsmärkten kaum zu erwarten. Steigende regulatorische Anforderungen der Politik bei gleichzeitig instabiler Förderkulisse und Haushaltsproblemen sind in dieser Situation auch nicht hilfreich. Dabei gäbe es so viel zu tun!

Blick auf die Nutzungssegmente

Insbesondere am Wohnungsmarkt. Nach einer aktuellen Schätzung des Statistischen Bundesamtes lebten in Deutschland zum Jahresende 2023 rund 84,7 Mio. Menschen, ein neuer Bevölkerungsrekord. Der Zuwachs seit 2010, als der Immobilienboom seinen Anfang nahm, beträgt somit rund 4,5 Mio. Menschen. Das Wohnungsangebot konnte nicht mithalten, zu träge entwickelte sich die Bautätigkeit und erreichte 2020 mit gut 306.000 Einheiten den vorläufigen Höhepunkt. Seitdem geht es bergab. Selbst mit den vom Bundesbauministerium in den Jahren 2023 und 2024 jeweils erwarteten 265.000 Fertigstellungen rückt das politisch postulierte Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr in weite Ferne. Wohnraum bleibt ein knappes Gut, nicht nur in den Ballungsräumen. Ferner gilt es, den Bestand energetisch zu ertüchtigen, will man den gesetzlich verankerten Klimapfad zur Reduktion der Treibhausgasemissionen nicht gänzlich verlassen. Eine Mammutaufgabe!

Im Bürobereich hielten sich Unternehmen mit Anmietungen zurück, die Vermietungsumsätze sanken 2023 um rund 30 Prozent. Zusätzlich zur üblichen zyklischen Komponente bestehen weiterhin Unsicherheiten über den künftigen Flächenbedarf. Wie viele Büroflächen braucht der Markt in Zeiten von Homeoffice, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz? Doch auch im Bürosektor besteht Handlungsbedarf, wenn vielleicht nicht quantitativ, so doch qualitativ. Nachhaltigkeitsaspekte rücken immer mehr in den Fokus von Mietern und Investoren. Hinzu kommt die Überzeugung, dass Mitarbeiter auch durch attraktive Büros besser gewonnen und gehalten werden können. Raus aus dem muffigen Standardbüro, hinein in den inspirierenden und kommunikativen „Work-Space“. Die Folge: Trotz zunehmenden Leerstands und sinkender Durchschnittsmieten steigen die Mieten für zeitgemäß gestaltete Gebäude in Top-Lagen. Auch wenn diese Spitzenobjekte aktuell nur einen kleinen Teil des Marktes ausmachen, lässt sich ein Signal für den künftigen Büromarkt daraus ableiten: mehr Qualität als Quantität! 

Im Einzelhandel sind die Umsätze im Bereich der Nahversorgung gestiegen, allerdings nur nominal. Die realen Umsätze – also unter Berücksichtigung der Inflation – sind in den vergangenen drei Jahren auf das Niveau von 2015 gesunken. Die Inflation lässt die Verbraucher den Gürtel enger schnallen, nicht nur bei Lebensmitteln. Lediglich der Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren erzielte zuletzt reale Zuwächse (inkl. Internet- und Versandhandel). Dennoch profitieren Vermieter von gut gelegenen Fachmärkten von Indexklauseln und bonitätsstarken Mietern, während der langjährige Strukturwandel im stationären Innenstadthandel zunehmend Leerstände bewirkt. Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren Entwicklung von Warenhaus-Standorten sind dabei noch nicht eingerechnet.

Der Markt für Unternehmens- und Logistikimmobilien zeigt sich relativ stabil. Die rückläufigen Vermietungsumsätze sind eher einem Mangel an qualitativ guten Objektangeboten geschuldet. Tendenziell steigende Mieten signalisieren eine stabile Nachfragesituation.

Unabhängig vom Segment und einer guten Vermietungsperspektive sollten Inhaber von Gewerbeimmobilien die Regulatorik zur Energieeffizienz im Blick behalten. Für ineffiziente Gewerbeimmobilien sehen EU-Bestimmungen, zuletzt konkretisiert durch die Novelle der EU-Gebäuderichtlinie, bis 2030 bzw. 2033 erhöhte Anforderungen vor. Es ist damit zu rechnen, dass deren Durchsetzung konsequenter verfolgt wird als im sensiblen Wohnungssektor.

Ausblick

Die Aufarbeitung der letzten Boom-Phase ist noch nicht abgeschlossen, sie hat vielmehr erst begonnen. So werden auch 2024 Nachrichten über Insolvenzen, Bewertungskorrekturen, Preisrückgänge und Verluste das Stimmungsbild prägen. Ob „Survive until 25!“ wirklich ausreichend ist, bleibt angesichts des zur Refinanzierung anstehenden Kreditvolumens abzuwarten.

Doch all das sollte Investoren nicht davon abhalten, nach attraktiven Investitionsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Die Rahmenbedingungen stabilisieren sich. Die Inflationsrate nähert sich dem Zielkorridor der Zentralbanken, der Kapitalmarkt hat erwartete Zinssenkungen bereits vorweggenommen, die Zinsen tendieren seitwärts, Finanzierungen werden wieder kalkulierbarer. Der Bankensektor bleibt insgesamt restriktiv, doch für gute Objekte und Bonitäten zeigt sich Finanzierungsinteresse. Eine Rezession scheint unwahrscheinlich, es kann – vorbehaltlich erneuter geopolitischer oder wirtschaftlicher Schocks – mit einem moderat positiven Wachstum der Wirtschaft gerechnet werden.

Zudem besteht angesichts der oben beschriebenen Nachfrage nach Wohnraum und modernen Gewerbeflächen die Chance auf weiteres Mietwachstum. Damit gewinnt die nachhaltige Ertragskraft und folglich ein gewisser Inflationsschutz, das Kernelement jeder Immobilieninvestition, die Oberhand über zinsgetriebene Investitions- und Finanzierungsmodelle. Gut so!

Und auf Verkäufer-Seite? Der Druck wird größer, Durchhalteparolen verlieren ihre Gültigkeit. Die zunehmende Evidenz niedrigerer Preise wird Bewertungskorrekturen erfordern und die Akzeptanz von „neuen“ Preisen fördern. Insofern erwarten wir im Jahresverlauf eine Belebung des Transaktionsgeschehens und sukzessive eine Bodenbildung bei den Preisen.

 

Haftungsausschluss

Diese Ausarbeitung dient ausschließlich der Information. Es handelt sich um eine allgemeine Markteinschätzung. Das Dokument stellt weder ein Angebot noch eine Beratung oder Aufforderung zum Kauf oder Verkauf irgendeiner Immobilie oder eines Finanzinstrumentes dar. Die Ausarbeitung soll nicht als Handlungsempfehlung verstanden werden und ersetzt keine Beratung zu konkreten Immobilienvorhaben oder Finanzinstrumenten, die in Immobilien direkt oder indirekt investieren.

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