CIO Insights: Sommermärchen Ade? Deutschland im Jahr 2024

Wie oft im Fußball, so auch im Wirtschaftsleben, haben nicht alle Märchen ein Happy End. So leider auch im Jahr 2024: Durch ein verfrühtes Aus der deutschen Nationalmannschaft im Viertelfinale der Europameisterschaft verschwanden auch die wieder aufgekommenen Sommermärchengefühle. Man könnte die Enttäuschung dort symbolisch für die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen sehen, vor denen Deutschland im Jahr 2024 steht. Nach den Glanzzeiten und dem Aufstieg zum ökonomischen Superstar in den Jahren nach der großen Finanzkrise 2008 ist Deutschland nun mit einer neuen wirtschaftlichen Realität konfrontiert.
Ein kurzer Blick zurück
Die Geschichte des deutschen Wirtschaftswachstums nach der Jahrtausendwende ähnelt einem spannenden Fußballspiel: von den dunklen Tagen des "kranken Mannes Europas" (Titel des Economist aus dem Jahr 1999) zu glorreichen Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs als ökonomischer Superstar. So betrug das Wirtschaftswachstum in Deutschland von 1998 bis 2005 im Durchschnitt nur etwa 1,2 Prozent pro Jahr und die Arbeitslosenquote stieg im gleichen Zeitraum von 9,2 Prozent auf 11,1 Prozent. Ebenfalls in diese Jahre fiel auch eine Verschlechterung der fußballerischen Leistung Deutschlands, hier dargestellt anhand des FIFA-Rangs des deutschen Männerteams (siehe Grafik).

Die notwendigen Veränderungen brachte ein Reformpaket, geschnürt unter der Regierung von Gerhard Schröder, welches als Agenda 2010 in die wirtschaftspolitische Geschichte Deutschlands einging. Explizit nannte Schröder unter anderem die Verbesserung der „Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung“ sowie den „Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung“ als Ziele für „seine“ Agenda. Die Reformen trugen Früchte und auch im Fußball ging es wieder aufwärts: Das Sommermärchen des Jahres 2006 beflügelte die Stimmung, Deutschland eroberte als Gastgeber die Herzen der Fans weltweit und wurde am Ende nach einem emotionalen Turnier Dritter. 2014 folgte dann der Weltmeistertitel und auch die Wirtschaftsdaten hatten die richtigen Vorzeichen: Deutschland im Fußball wie in der Wirtschaft ein Superstar.
Status Quo
Doch wie im Sport gibt es auch in der Wirtschaft keine Garantien für dauerhaften Erfolg. Im Jahr 2024 sah Deutschland nicht nur das frühe Ende seines Fußballmärchens in der Europameisterschaft, sondern steht auch wirtschaftlich vor neuen, großen Herausforderungen; seit 2018 enttäuschen die Wirtschaftsdaten Jahr für Jahr (siehe Grafik). Eine Vielzahl von belastenden Faktoren kristallisiert sich heraus. Die hohen Energiekosten, die sich aus der Abhängigkeit vom russischen Gas und den Folgen des Ukrainekrieg mit seinen Sanktionen ergeben, stellen akute Probleme dar. Gleichzeitig besteht eine starke Handelsabhängigkeit von China, sowohl als bedeutender Exportmarkt für deutsche Unternehmen, aber auch als Hauptlieferant für viele Produkte und Rohstoffe wie z. B. seltene Erden. Die aktuelle wirtschaftliche Schwäche Chinas macht sich somit auch in Deutschland bemerkbar, weil deutsche Waren dort weniger stark nachgefragt werden. Zusätzlich dazu können protektionistische Maßnahmen, die gerade wieder eine Renaissance erleben, die deutsche Wirtschaft treffen. Dazu kommt der Strukturwandel in der Automobilindustrie, dem nur langsam begegnet wird. Niedrige öffentliche Investitionen und Versäumnisse in der Infrastruktur behindern den Digitalisierungsfortschritt. Der demografische Wandel verschärft die Arbeitskräftesituation, während übermäßige Regulierung und eine konstitutionelle Schuldenbremse Innovationspotenziale einschränken.
Zukunftstechnologien in Deutschland
Wie sieht also die Zukunft für Deutschland aus? Wo kann und wird nachhaltiges Wachstum generiert werden? KfW Research hat eine Studie veröffentlicht, die die wichtigsten Zukunftstechnologien aus deutscher Sicht identifiziert, die bereits mittelfristig kommerziell genutzt werden können und erhebliches Wachstumspotenzial aufweisen. Demnach wird die Zukunft der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren maßgeblich von Technologien im Bereich Kraftfahrzeuge, Informationstechnologien, Umwelt- und Klimaschutz sowie Produktion und Medizin geprägt sein. Deutschland kann auf Stärken bei hybridelektrischen Fahrzeugen, Batterietechnologie und autonomem Fahren aufbauen. Jedoch ist ein verstärktes Engagement in der Elektromobilität und in der Anwendung von Informationstechnologien erforderlich, um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Besonders herausfordernd sind Informationstechnologien, wo Deutschland bisher nur mittlere Kompetenzen aufweist und der Fokus auf den Aufbau von Anwendungs- und Produktionskompetenzen gelegt werden sollte. Umwelt- und Klimaschutztechnologien, darunter Recycling, Biomaterialien und Wasserstoffproduktion, bieten nicht nur gesellschaftlichen Nutzen, sondern müssen auch wirtschaftlich rentabel werden. Im Bereich Produktionstechnologien, wie der additiven Fertigung, und der Integration von Informationstechnik können deutsche Unternehmen ihre traditionellen Stärken weiter auszubauen. In der Medizin haben neue Impfstoffe aufgrund der COVID-19-Pandemie stark an Bedeutung gewonnen. Diese Technologien zeigen ein erhebliches Wachstumspotenzial, da zukünftig ähnliche Herausforderungen zu erwarten sind. Zusammenfassend ist es entscheidend, heute die Weichen zu stellen, um die Forschung und Entwicklung in diesen Schlüsselbereichen zu stärken und die notwendigen Rahmenbedingungen für Innovation und Wachstum zu schaffen. Dass Deutschland deutlich mehr Potenzial hat als derzeit genutzt wird, zeigt sich in der immer noch starken Grundlagenforschung. In den letzten Jahren sind viele Nobelpreise auch an in Deutschland tätige Forscher gegangen.
In der aktuellen Diskussion um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland wird deutlich, dass die strategische Ausrichtung und die Fähigkeit zur Anpassung entscheidend sind. Wie im Fußball müssen auch hier Teamgeist, taktisches Geschick und ein klares Ziel im Mittelpunkt stehen, um die nächsten Herausforderungen zu meistern und das Land weiterhin auf Siegeskurs zu halten. Und so muss das "Sommermärchen" des Jahres 2024 nicht in der jetzigen Enttäuschung enden, sondern kann vielmehr den Beginn eines neuen Kapitels markieren, in dem Deutschland seine Stärken ausbaut, um seine Position als eine der führenden Volkswirtschaften der Welt wieder zu erlangen.
Quellen:
Bloomberg, FIFA: www.inside.fifa.com, KfW Research: Fokus Nr. 321 März 2021: Zukunftstechnologien
Stand: August 2024
Herausgeber: ABN AMRO Bank N.V. Frankfurt Branch
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