
CIO Insights: Antifragilität – mehr als nur Resilienz
Als Nicolas Taleb 2006 sein Buch „The Black Swan“ veröffentlichte, stellte er die These auf, dass Menschen nicht in der Lage sind, extreme Ereignisse zu prognostizieren. Er behauptete, dass unser Blick auf die Welt durch die Brille der Normalverteilung weder die Kapitalmarkt- noch die Lebensrealität trifft.
Wir unterschätzen Risiken, überschätzen Stabilität und glauben an lineare Entwicklungen – obwohl sich die Welt nicht linear sondern exponentiell verhält. Nur zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung schienen die Aussagen im Buch beinahe prophetisch: Die globale Finanzkrise bestätigte Talebs Warnungen und machte sein Werk schlagartig zum Klassiker. Plötzlich wurde sichtbar, wie fragil das scheinbar robuste Finanzsystem war. Doch während „schwarze Schwäne“ unerwartet auftauchen und ganze (Finanz-)Systeme erschüttern, erleben wir heute Ereignisse, die zwar extrem sind, aber bewusst geschaffen werden – politische Entscheidungen mit globalen Auswirkungen.
2025: Das Jahr des „Orange Swans“
2025 geht für mich als das „Jahr des Orange Swans“ in die Kapitalmarktgeschichte ein – mit Blick auf den Hauptakteur der politischen Dramaturgie: Donald Trump. 2025 war geprägt von einer außergewöhnlichen Parallelität politisch erzeugter Schocks: abrupte Änderungen im Handel durch erhöhte Importzölle, eine neue Ausrichtung der Industriepolitik, eine offensive Form der Deregulierung und veränderte Prioritäten in der Fiskalpolitik. Außergewöhnlich im Sinne von Radikalität und Geschwindigkeit, nicht per se als überraschende Maßnahmen selbst. Denn im Kern arbeitete Präsident Trump die Agenda des Kandidaten Trump ab.
| Promise Made | Promise kept? | Details |
| Niedrigere Steuern | Ja | "One Big Beautiful Bill Acz (OBBBA)" machte auslaufende Steuersenkungen dauerhaft und fügte weitere Senkungen hinzu. |
| Höhere Zölle | Ja | Effektiver US-Zollsatz bei ~16 %, gegenüber 2,3 % Ende 2024, aber beobachteter Satz bei 9,7 %, anhängig von rechtlichen Anfechtungen. |
| Weniger Einwanderung | Ja | Illegale Grenzübertritte auf historischem Tiefstand, Risiko für den rechtlichen Status von 1,1 Mio. Arbeitskräften, sinkende Arbeitserlaubnisse, 100.000 $ H-1B-Visagefbühr. |
| Schwächerer Dollar | Ja | Dollar ist seit Trumps Amtsantritt um ~10 % schwächer. |
| Niedrigerer Ölpreis | Ja | WTI und Brent sind seit Trumps Amtsantritt um ~25 % gefallen. |
| Höhere Aktienmärkte | Ja | US-Aktienmärkte und viele internationale Märkte haben Rekordhöhen erreicht, wobei internationale Märkte outperformen. |
| Niedrigere Zinssätze | - | Term-Prämie stabilisiert, 10-jährige US-Staatsanleihen ~60 Basispunkte niedriger seit Trumps Amtsantritt, aber hohe Staatsverschuldung könnte reale Zinsen im Verlauf erhöhen. |
| Mehr Deregulierung | - | Fortschritt und aktuelle Initiativen bleiben hinter Erwartungen zurück, mit offenen Stellen in Schlüsselrollen, Mandat und Regulierungsstruktur werden überprüft. |
| Beendigung endloser Konflikte | - | Trump erzielte Durchbruch bei Waffenstillstand in Gaza, aber regionale Stabilität bleibt fragil, wie der jüngste Zusammenstoß zwischen Israel und Hamas am 19. Oktober zeigt. Viel Arbeit bleibt in Russland und der Ukraine. |
| DOGE-Einsparungen | Nein | DOGE meldet 214 Mrd. $ Einsparungen gegenüber Ziel, unabhängige Schätzungen sind deutlich niedriger. |
| Höheres Wachstum | Nein | Reales BIP-Wachstum ~1,6 % im 1. Halbjahr 2025; Prognose ~2 % für das 2. Halbjahr 2025. |
| Niedrigere Inflation | Nein | Kern-PCE-Inflation erwartet bei 3,1 % im 4. Quartal aufgrund der Weitergabe von Zöllen an Verbraucherpreise, Jahresende bei unangenehm festen 2,9 %. |
| Niedrigeres Defizit | Nein | OBBBA erhöht US-Defizit um ~1,2 % des BIP, bringt das Haushaltsdefizit für GJ26 auf 6,8 %, aber Reduktion durch Zolleinnahmen könnte GJ25 und GJ26 auf 6,0 % bzw. 6,4% des BIP senken. |
Quelle: Bank of America
Zudem zeigte 2025, dass Kapitalmärkte rationaler sind, als sie erscheinen. Nach anfänglichen Erschütterungen um den Liberation Day herum erreichten die Aktienmärkte neue Höchststände. Obwohl die geopolitische Unsicherheit zunahm, entwickelte sich der Konsum robust. Die Lieferketten waren zwar angespannt, dennoch beschleunigten Unternehmen ihre Investitionen in Automatisierung und technologische Modernisierung. Auch wenn der politische Impuls häufig im Vordergrund stand, erwirtschafteten Unternehmen solide Gewinne und unterstützten mit gesunden Fundamentaldaten die Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten.
2026: US Exzeptionalimus Reloaded
Damit richtet sich der Blick auf 2026 – ein Jahr, in dem sich multidimensionale Transformationen fortsetzen dürften, aber mit neuen Akzenten. Die Weltwirtschaft wächst weiter, jedoch immer ungleicher. Die USA sollten von fiskalischen Impulsen, einem innovationsgetriebenen Technologiesektor und einer Industriepolitik profitieren, die strategische Abhängigkeiten reduzieren soll. Europa hingegen kämpft voraussichtlich mit strukturellen Herausforderungen: einer ungünstigen demografischen Entwicklung, hohen Energiepreisen und politischer Fragmentierung. Auch wenn wir die Wachstumsaussichten dieser Region nach oben angepasst haben, ohne signifikante Reformen wird aus den Infrastruktur- und Klima-/Rüstungspaketen ein Strohfeuer. China justiert seine Ausrichtung stärker auf innenwirtschaftliche Stabilität und technologische Eigenständigkeit, was globale Handelsströme und Investitionsdynamiken nachhaltig verändert. Gleichzeitig werden aufstrebende Volkswirtschaften einflussreicher, da sie sowohl von der geopolitischen Neuorientierung als auch von der Diversifikation globaler Wertschöpfungsketten profitieren.
Inflation bleibt Teil der wirtschaftlichen Realität, jedoch in einer moderaten Form. Die Zeit extrem niedriger Zinsen scheint vorbei; stattdessen sollte sich ein mittleres Zinsniveau etablieren. Die Fed wird voraussichtlich auch 2026 die Zinsen mehrfach senken und die EZB bei dem jetzigen Niveau bleiben. Geldpolitik und Fiskalpolitik bieten der Kapitalmarktentwicklung also Rückenwind.
Antifragiliät
Hier kommt Talebs Konzept der Antifragilität ins Spiel, vorgestellt in seinem 2012 erschienenen Buch „Antifragilität – Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“. Er beschreibt darin drei unterschiedliche Systeme: fragile, robuste und antifragile. Fragile Systeme zerbrechen unter Stress. Robuste Systeme überstehen Stress, ohne besser zu werden. Antifragile Systeme hingegen profitieren von Unsicherheit, werden durch Volatilität widerstandsfähiger und entwickeln sich weiter, weil sie aus Störungen lernen. 2026 fordert genau diese Fähigkeit – von Unternehmen, Portfolios, Volkswirtschaften und politischen Institutionen.
Unternehmen, die flexibel produzieren, global skalieren und technologisch investieren, werden gestärkt aus der Unsicherheit hervorgehen. Staaten, die strategisch agieren und sich geopolitischen Realitäten anpassen, können ihre Position verbessern – selbst wenn das Umfeld turbulent bleibt. Finanzstrategien, die nicht auf starre Stabilität setzen, sondern auf Diversifikation, Flexibilität, Optionalität und Anpassungsfähigkeit, werden in einem volatilen Umfeld bessere Ergebnisse erzielen.
Neuordnung der amerikanischen Notenbank
Besonders relevant wird 2026 die personelle Neuausrichtung der US-Notenbank, die von großer Tragweite sein wird. Es geht um die Balance politischer Einflussnahme, um die künftige Rolle der Zentralbank im Spannungsfeld von Wachstum, Preisstabilität und Finanzmarktregulierung. Da der Dollar das Rückgrat des globalen Finanzsystems bildet, hat jede Veränderung im Selbstverständnis der Fed weitreichende Auswirkungen auf internationale Kapitalflüsse und Währungsrelationen. Die Neugestaltung der Fed 2026 wird damit möglicherweise zu einem jener Ereignisse, die erst später als historischer Wendepunkt erkennbar werden.
2025 hat uns gelehrt, wie stark und schnell politische Entscheidungen globale Systeme bewegen können. 2026 wird zeigen, welche Akteure aus diesen Veränderungen gestärkt hervorgehen – und welche an den strukturellen Belastungen scheitern. Antifragilität wird damit zum Leitprinzip für eine Welt, die sich neu ordnet. Wer lernt, aus Unsicherheit Stärke zu gewinnen, wird in diesem neuen Umfeld nicht nur bestehen, sondern profitieren.